Sein
Programm für die nächsten drei Tage ist minutiös vorbereitet. Er
scheint nicht unter Schlafmangel zu leiden: „Gestern Abend habe ich
in der Uni noch einen Routenplan für uns ausgearbeitet.Wird knapp“
Wir
sprinten zum Bus. Und fahren. Wohin auch immer. Zum Shaanxi
History Museum, einem der bedeutendsten Museen Chinas. Vielleicht dem
bedeutendsten. Am Eingang hängt ein Schild. Das Museum gilt als der
„Große Star in der historischen Hauptstadt und unter den chinesischen
Kulturschätzen.“ Zehn Millionen Besucher kommen jährlich.
Und nun wird mir auch klar, warum wir
früh los mussten. Es sieht so aus, als ob alle zehn Millionen heute
kommen. Riesige Schlangen stehen vor den Kassenhäuschen.
„4000 Freikarten gibt es jeden Tag,“ erklärt Willi „2500 vor 14 Uhr und 1500 danach“. Die Chinesen lieben dieses Museum. Warten geduldig.
Mir gefällt die Idee gut. Ein begrenztes Freikartenkontingent. Jeden Tag. Museen, die tief in der eigenen Kultur verankert sind. In China werden Sehenswürdigkeiten mit A kategorisiert. Ein A ist eine kleine Sehenswürdigkeit. Fünf A sind die großen, die ganz besonderen.
Und Willi gibt mir noch einen Tipp für
die nächsten Wochen: „Fünf A, dass sind die, für die es sich
lohnt. Besuche nie eine Sehenswürdigkeit mit einem, zwei oder drei
A. Dafür ist die Zeit zu schade in China.“
Das Shaanxi History Museum hat fünf A. Natürlich.
Doch diese Schlangen heißen Warten. Denke ich. Ganz vorne in der Schlange steht Sarah. Sie muss seit sieben Uhr hier ausharren. Winkt aufgeregt: „Wir sind gleich dran!“
Eigentlich bin ich kein Museumsfan. Aber dies hier berührt. Nicht nur das Museums selbst. Sondern alles andere. Die Situation, die Konstellation, dieser Tag.
Fast aufgelöst vor Freude führen die beiden mich durch ihre Welt. Sie sind glücklich und stolz. Auf ihr Land, ihre Geschichte. All die Dynastien. Die Kunst, die Kultur. Zu Recht. In China gab es schon Kunst, Kultur und Münzprägung als es in Deutschland noch keine einzige Stadt gab.
Aber viel stolzer als auf ihr Land,
sollten die beiden auf sich sein. Das allerdings wäre nicht typisch für ihre Kultur. Was für tolle junge Menschen!
Sarah hat sich einen Fotoapparat ausgeliehen. Und weiß zu vielen Stücken etwas zu sagen. Sie kennt sich aus in der chinesischen Geschichte. Sie erzählt es Willi, der übersetzt es ins klarste Englisch meiner Reise. Sarah hört genau zu und beendet Willis Übersetzung meist mit einer Entschuldigung, dass sie selbst nicht besser Englisch sprechen kann.
Und ich erfahre auch, welche Bedeutung Fotos haben. Immer wieder fordern mich die beiden auf "ruhig Fotos zu machen". Und alle anderen tun dieses auch. Fast jedes Exponat wird abgelichtet. Und ich lass mich nicht lumpen. Reihe mich ein in die Schlangen um den besten Fotospot. Geduldig wird gewartet, bis man an der Reihe ist.
So vergehen die Stunden.
Mit den Beiden hätte ich an diesem Vormittag auch eine fünfstündige Sandkornaustellung besuchen können. Ich wette, ich wäre gleichermaßen berührt, allerdings weniger informiert.
Denn was ich erfahre und sehe, ist umfangreich. Ein Crashkurs über China. Über die unfassbar atemberaubende Zeit der verschiedenen Dynastien. Und mit jedem Exponat und der Begeisterung der einheimischen Besucher für die eigene Geschichte setzt sich ein weiteres Puzzleteil meines Chinabildes zusammen.
375 000 Exponate befinden sich in
diesem bedeutenden Museum. Als es später Mittag wird, bin ich sicher, dass
ich die allermeisten davon auch gesehen habe. Ich kann mich nicht daran erinnern jemals ein deutsches Museum dermaßen intensiv besucht zu haben. Aber hatte ich auch jemals solche Museumsführer?
Als wir nach fünf Stunden das Shaanxi History Museum verlassen, entschuldigt sich Sarah: „Sorry, sorry. Wir hatten nicht viel Zeit. Aber du bist ja auch nur drei Tage hier!“
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