Donnerstag, 26. April 2012

"Nett" ist die kleine Schwester von Scheiße? Falsch!

"Nett“, da sind sich die Pinnwandeinträge bei facebook einig „ist die kleine Schwester von Scheiße!“. War es auf einer Feier also: „nett“, dann war es in Wirklichkeit eine ziemlich öde Angelegenheit. Dislike! Finde ich nicht!
Und einige meiner Freunde haben ob meiner schlechten Differenzierung in dieser Sache auch gleich ein zweites nett eingeführt. „War es denn nun nett oder björn-nett?“

Eine ältere Kollegin erzählte vor einigen Jahren im Lehrerzimmer, dass ihr Sohn ihr Vorwürfe mache: „Du hast immer gesagt, ich soll nett zu den Menschen sein. Und nun? Man wird nur übers Ohr gehauen. Ich bin nicht hart genug für diese Welt!“.

Fand ich furchtbar.

Diese Welt in der Steuerhinterzieher „clever“ sind: „So lange man nicht erwischt wird“ und Handy-Klingelton-Firmen zu Unternehmern des Jahres gewählt werden, obgleich sie Millionen Kindern das Taschengeld aus der Hose ziehen. In denen Dieter Bohlen gefeiert wird, wenn er arme Würste vorführt und eine Talkshow nur dann erfolgreich ist, wenn es kracht. Ansonsten war der Moderator „zu nett“.

„Zu nett!“ heißt es oft, wenn jemand seine Aufgabe nicht geschafft hat, wenn andere ihm oder ihr auf der Nase rumtanzen. Und wenn eine Frau keinen Partner findet, dann darf sie sich auch oft anhören: „Du bist einfach zu nett zu den Männern. Die Männer wollen Zicken!“ ebenso wie „nette“ männliche Junggesellen endlich mal härter sein sollen „Frauen wollen Arschlöcher“

Ist es so? Ich bezweifle das.

Ich mag nette Menschen. Den Dänen, der vor vielen Jahren morgens um 5 Uhr einfach am Straßenrand hielt und mich zur nächsten Tankstelle brachte, weil mein Benzin alle war. Die Stewardess der Lufthansa, die den Klassenteddy der 4b einfach ein halbes Jahr mit auf Reisen nahm und sein Tagebuch für uns füllte oder den Träger in Peru, der mir meine liegen gelassene Kamera hinterherbrachte. Obgleich sie für ihn ein Zehnjahresgehalt dargestellt hätte.

Warum machen die das? Einfach so. Weil sie nett sind.

Vor einigen Jahren hat die evangelische Jugend  kurzzeitig eingeführt, dass die Ehrenamtlichen einen kleinen Holz-Esel als Erkennungszeichen geschenkt bekamen. Es sind eben doch immer die „Dummen, die die Arbeit machen!“ - auch das fand ich blöd. Andersrum wird doch ein Schuh draus.

In meinem Schulleitungsseminar erklärte man uns, dass man „Leiten“ nichts mit Freundlichkeit zu tun hätte. Man müsse auch mal auf den Tisch hauen. Das sei Führungsqualität. Ich weiß nicht ob ich das tue. Ich glaube eher nicht. Ich bin eigentlich gerne freundlich. Ich kann besser Ja-sagen und versuchen nett zu sein und auch möglichst viele Wünsche zu erfüllen. Ich glaube, dass ist auch eine Qualität.

Und so lebe ich eigentlich eher nach dem Motto: „Dreimal Ja ist auch einmal Nein“. Wer oft „Ja“ sagt, kann in entscheidenden Situationen nämlich viel besser nein sagen. Oder anders: wer oft versucht nett zu sein, der kann um wirklich wichtige Dinge besser böse streiten.

Dabei geht es nicht darum, dass man immer nett ist. Wer könnte das von sich behaupten? Ich ganz sicher nicht! Ich war in meinem Leben bestimmt zu vielen Leuten gemein, habe Freunde schwer verletzt und Menschen gekränkt. Bin übers Ziel hinausgeschossen und habe andere nicht beachtet. Fehler immerzu. All das. Wie es wohl den meisten Menschen passiert. Aber darum geht es nicht.

Es geht um die Haltung. Ist man wirklich stolz andere verletzt zu haben? Geht es einem schlecht, wenn einem ein Fehler klar wird? Lässt man sich feiern, wenn man andere ernsthaft übers Ohr gehauen hat?

Warum hört man denn eigentlich ein lächelndes „Schleimer“, wenn man offen einem Freund sagt, dass seine neue Partnerin wirklich Glück hat, dass sie ausgerechnet ihn gefunden hat? Während man ein kraftvolles anerkennendes „gegeben!“ hört, wenn man sagt: „Dich? Gabs keinen Besseren?“

Nett scheint also out zu sein? Oder ist unsere Welt mittlerweile so krass, dass wir nett als zu seicht empfinden. Komplimente einen Hintergedanken haben müssen, also stets geschleimt sind?
Ist wer nett ist, wirklich zu dumm für diese Welt? Ein Looser, der sich im Alltag nicht durchsetzen kann und auf das falsche alte Pferd setzt?

So hat man als „netter“ Mensch sicherlich manches Mal das Gefühl, dass der Vordrängler tatsächlich den besseren Sitzplatz bekommt oder ein Sprücheklopfer die Lacher auf seiner Seite hat, während jemand nett und still daneben steht.

So wird „Nett“-Sein vielleicht als „langweilig“ fehlinterpretiert oder andere werden schneller befördert, weil sie dreister waren und den Mund weiter aufgerissen haben. Oder man sitzt nachts an Aufgaben, die man „netter Weise“ übernommen hat, während jemand anderes sich „nie kümmert“ und vermutlich schon schläft. Man kommt sich also manchmal ganz schön dumm vor. Das Los eines „Netten“?

Ich finde: Das Kapital.

Weil jede Nettigkeit Glück bei anderen erzeugt. Und man also ganz ohne Hintergedanken etwas bewirkt. Auf Anerkennung zu hoffen, ist dabei der falsche Weg. Nettsein braucht keine Gegenleistung. Lasst uns lieber beginnen mehr Anerkennung zu geben.
Mir gefällt der Gedanke Eltern anzurufen, wenn ihr Kind sich in der Schule gut verhält und nicht nur die Probleme mit Erziehungsberechtigten zu thematisieren. Das ist nett.
Oder einem langjährigen Freund mal wieder auf die Schulter zu klopfen und ihm was Nettes zu sagen. Oder einfach mal einen Fremden. Vielleicht dem Busfahrer, der die Tür wieder aufmacht, obwohl er schon angefahren war oder der Lehrer, der den schummelnden Schüler sieht und ein Auge zudrückt. Denn obwohl wir immer nur von der anderen Seite erzählen, gibt es genau solche Menschen.
Wir sollten netter sein. Und nette Menschen mehr schätzen statt zu spotten. Sie anlächeln und uns bedanken und nicht immer sofort einen Hintergedanken vermuten. Wir sollten Hilfe geben, aber vor allem auch annehmen. Und wir sollten unseren Kindern und uns selbst auch beibringen, dieses Wort und die dazugehörige Tat wieder mehr zu schätzen. Und insgesamt vielleicht ein bisschen liebevoller miteinander umgehen.

Auch und gerade weil die Welt eigentlich zu derb für ein so zartes und unaufdringliches Wort geworden ist.

Und das sollten wir auch den Facebook „nett ist die kleine Schwester von Scheiße“-Jüngern erklären oder wie es im internetdeutsch heißt: ihnen das auf die Pinnwand „posten“
Nette Menschen sind nämlich nicht langweilig. Sind zu allererst nett. Und das ist doch eigentlich ziemlich gut so.

Und zu guter Letzt möchte ich all denen, die versuchen ihr Leben so zu gestalten, dass sie auf sich und ihre Mitmenschen aufpassen. Ihre Steuern zahlen, auch wenn es nervt. Gerne schenken und freundlich sein können ohne Hintergedanken zu haben. Freundschaften leben und einfach mal Sachen machen, obwohl es nichts dafür zurückgibt.

All denen, die sich manches Mal übers Ohr gehauen fühlen, weil irgendein anderer wieder mal dreister, schneller, ellbogennutzender war, also allen netten Menschen, denen möchte ich zurufen: Lasst euch den Esel nicht anstecken. Denn können all die Anderen schön selbst behalten!

Denn meiner Meinung nach, ist „nett“, wenn man denn schon in der Sprache der Verwandschaftsgrade bleiben möchte „der große Bruder von Menschlichkeit“ und hat ganz sicher keinen Esel verdient.

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