Und einige meiner Freunde haben ob meiner schlechten Differenzierung in dieser Sache auch gleich ein zweites nett eingeführt. „War es denn nun nett oder björn-nett?“
Eine
ältere Kollegin erzählte vor einigen Jahren im Lehrerzimmer, dass
ihr Sohn ihr Vorwürfe mache: „Du hast immer gesagt, ich soll nett
zu den Menschen sein. Und nun? Man wird nur übers Ohr gehauen. Ich
bin nicht hart genug für diese Welt!“.
Fand ich
furchtbar.
Diese
Welt in der Steuerhinterzieher „clever“ sind: „So lange man
nicht erwischt wird“ und Handy-Klingelton-Firmen zu Unternehmern
des Jahres gewählt werden, obgleich sie Millionen Kindern das
Taschengeld aus der Hose ziehen. In denen Dieter Bohlen gefeiert
wird, wenn er arme Würste vorführt und eine Talkshow nur dann
erfolgreich ist, wenn es kracht. Ansonsten war der Moderator „zu
nett“.
„Zu nett!“ heißt es oft, wenn jemand seine Aufgabe nicht geschafft hat, wenn andere ihm oder ihr auf der Nase rumtanzen. Und wenn eine Frau keinen Partner findet, dann darf sie sich auch oft anhören: „Du bist einfach zu nett zu den Männern. Die Männer wollen Zicken!“ ebenso wie „nette“ männliche Junggesellen endlich mal härter sein sollen „Frauen wollen Arschlöcher“
Ist es so? Ich bezweifle das.
Ich
mag nette Menschen. Den Dänen, der vor vielen Jahren morgens um 5
Uhr einfach am Straßenrand hielt und mich zur nächsten Tankstelle
brachte, weil mein Benzin alle war. Die Stewardess der Lufthansa, die
den Klassenteddy der 4b einfach ein halbes Jahr mit auf Reisen nahm
und sein Tagebuch für uns füllte oder den Träger in Peru, der mir
meine liegen gelassene Kamera hinterherbrachte. Obgleich sie für ihn
ein Zehnjahresgehalt dargestellt hätte.
Warum
machen die das? Einfach so. Weil sie nett sind.
Vor
einigen Jahren hat die evangelische Jugend kurzzeitig eingeführt, dass die
Ehrenamtlichen einen kleinen Holz-Esel als Erkennungszeichen geschenkt bekamen. Es
sind eben doch immer die „Dummen, die die Arbeit machen!“ - auch
das fand ich blöd. Andersrum wird doch ein Schuh draus.
In meinem Schulleitungsseminar erklärte man uns, dass man „Leiten“ nichts mit Freundlichkeit zu tun hätte. Man müsse auch mal auf den Tisch hauen. Das sei Führungsqualität. Ich weiß nicht ob ich das tue. Ich glaube eher nicht. Ich bin eigentlich gerne freundlich. Ich kann besser Ja-sagen und versuchen nett zu sein und auch möglichst viele Wünsche zu erfüllen. Ich glaube, dass ist auch eine Qualität.
Und
so lebe ich eigentlich eher nach dem Motto: „Dreimal Ja ist auch
einmal Nein“. Wer oft „Ja“ sagt, kann in entscheidenden
Situationen nämlich viel besser nein sagen. Oder anders: wer oft
versucht nett zu sein, der kann um wirklich wichtige Dinge besser
böse streiten.
Dabei
geht es nicht darum, dass man immer nett ist. Wer könnte das von
sich behaupten? Ich ganz sicher nicht! Ich war in meinem Leben
bestimmt zu vielen Leuten gemein, habe Freunde schwer verletzt und
Menschen gekränkt. Bin übers Ziel hinausgeschossen und habe andere
nicht beachtet. Fehler immerzu. All das. Wie es wohl den meisten
Menschen passiert. Aber darum geht es nicht.
Es
geht um die Haltung. Ist man wirklich stolz andere verletzt zu haben?
Geht es einem schlecht, wenn einem ein Fehler klar wird? Lässt man
sich feiern, wenn man andere ernsthaft übers Ohr gehauen hat?
Warum
hört man denn eigentlich ein lächelndes „Schleimer“, wenn man
offen einem Freund sagt, dass seine neue Partnerin wirklich Glück
hat, dass sie ausgerechnet ihn gefunden hat? Während man ein
kraftvolles anerkennendes „gegeben!“ hört, wenn man sagt: „Dich?
Gabs keinen Besseren?“
Nett
scheint also out zu sein? Oder ist unsere Welt mittlerweile so krass,
dass wir nett als zu seicht empfinden. Komplimente einen Hintergedanken
haben müssen, also stets geschleimt sind?
Ist
wer nett ist, wirklich zu dumm für diese Welt? Ein Looser, der sich
im Alltag nicht durchsetzen kann und auf das falsche alte Pferd
setzt?
So
hat man als „netter“ Mensch sicherlich manches Mal das Gefühl,
dass der Vordrängler tatsächlich den besseren Sitzplatz bekommt
oder ein Sprücheklopfer die Lacher auf seiner Seite hat, während
jemand nett und still daneben steht.
So
wird „Nett“-Sein vielleicht als „langweilig“
fehlinterpretiert oder andere werden schneller befördert, weil sie
dreister waren und den Mund weiter aufgerissen haben. Oder man sitzt
nachts an Aufgaben, die man „netter Weise“ übernommen hat,
während jemand anderes sich „nie kümmert“ und vermutlich schon
schläft. Man kommt sich also manchmal ganz schön dumm vor. Das Los
eines „Netten“?
Ich finde: Das Kapital.
Weil
jede Nettigkeit Glück bei anderen erzeugt. Und man also ganz ohne
Hintergedanken etwas bewirkt. Auf Anerkennung zu hoffen, ist dabei
der falsche Weg. Nettsein braucht keine Gegenleistung. Lasst uns
lieber beginnen mehr Anerkennung zu geben.
Mir
gefällt der Gedanke Eltern anzurufen, wenn ihr Kind sich in der
Schule gut verhält und nicht nur die Probleme mit
Erziehungsberechtigten zu thematisieren. Das ist nett.
Oder
einem langjährigen Freund mal wieder auf die Schulter zu klopfen und
ihm was Nettes zu sagen. Oder einfach mal einen Fremden. Vielleicht
dem Busfahrer, der die Tür wieder aufmacht, obwohl er schon
angefahren war oder der Lehrer, der den schummelnden Schüler sieht
und ein Auge zudrückt. Denn obwohl wir immer nur von der anderen
Seite erzählen, gibt es genau solche Menschen.
Wir
sollten netter sein. Und nette Menschen mehr schätzen statt zu spotten. Sie anlächeln
und uns bedanken und nicht immer sofort einen Hintergedanken
vermuten. Wir sollten Hilfe geben, aber vor allem auch annehmen. Und
wir sollten unseren Kindern und uns selbst auch beibringen, dieses Wort und die
dazugehörige Tat wieder mehr zu schätzen. Und insgesamt vielleicht
ein bisschen liebevoller miteinander umgehen.
Auch
und gerade weil die Welt eigentlich zu derb für ein so zartes und
unaufdringliches Wort geworden ist.
Und
das sollten wir auch den Facebook „nett ist die kleine Schwester
von Scheiße“-Jüngern erklären oder wie es im internetdeutsch
heißt: ihnen das auf die Pinnwand „posten“
Nette Menschen sind nämlich nicht langweilig. Sind zu allererst nett. Und das ist doch eigentlich ziemlich gut so.
Nette Menschen sind nämlich nicht langweilig. Sind zu allererst nett. Und das ist doch eigentlich ziemlich gut so.
Und
zu guter Letzt möchte ich all denen, die versuchen ihr Leben so zu
gestalten, dass sie auf sich und ihre Mitmenschen aufpassen. Ihre
Steuern zahlen, auch wenn es nervt. Gerne schenken und freundlich
sein können ohne Hintergedanken zu haben. Freundschaften leben und
einfach mal Sachen machen, obwohl es nichts dafür zurückgibt.
All
denen, die sich manches Mal übers Ohr gehauen fühlen, weil
irgendein anderer wieder mal dreister, schneller, ellbogennutzender
war, also allen netten Menschen, denen möchte ich zurufen: Lasst euch den Esel nicht anstecken.
Denn können all die Anderen schön selbst behalten!
Denn
meiner Meinung nach, ist „nett“, wenn man denn schon in der
Sprache der Verwandschaftsgrade bleiben möchte „der große Bruder
von Menschlichkeit“ und hat ganz sicher keinen Esel verdient.
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