Donnerstag, 10. Mai 2012

Kartenspielen mit den wunderbaren Alten

Ich stehe da. Stundenlang. Mein absoluter Lieblingsort in Pingyao. Hier sitzen die alten Menschen der Stadt. Männer wie Frauen. Sie brauchen nicht betreut werden. Niemand holt sie ab zum Gedächtnistraining. Sie hocken auf ihren alten Kisten,  Hockern, vielleicht das eigene Kissen mitgebracht. Und ihre gegerbten Gesichter strahlen verschmitzt, wenn ihre zerfurchten Hände ein Ass-Pärchen ausspielen, den richtigen Mahjong-Stein legen. So stelle ich mir das Rentnerparadies vor. Spielen, stundenlanges Spielen und Geschichten erzählen. Bis in die Dunkelheit des warmen Sommerabends. Das würde mir heute schon ziemlich gut gefallen.
Sie sprechen meine Sprache nicht. Aber ich bald ihre. Jedenfalls einen Teil davon. Den der ausreicht um ihr Kartenspiel zu spielen. Einen Tag brauche ich um überhaupt dabei stehen zu dürfen ohne kritisch beäugt zu werden. Anfangs drehte man seine Karte schnell weg, wenn ich in der Nähe war.

Misstrauisch. Wer lässt sich schon gerne in die Karten schauen? Jahrelange Erfahrung auf der Straße. Ich würde meine Karten auch niemand Unbekanntes zeigen wollen.

Doch dann habe ich ihr Vertrauen erobert. Durch Ausharren. Aber auch indem ich mit ihnen lachte und anerkennend den Daumen hob, wenn ich einen besonderen Spielwitz verstanden hatte. Wenn jemand mit dem letzten Stich Glück oder Pech hatte. Das gefiel ihnen. Wer auch immer diese Langnase war. Sie hatte Durchhaltevermögen.

Am zweiten Tag glaubte ich die Regeln zu verstehen. Vermutlich wusste ich mehr, als sie ahnten. Aber ich hielt mich zurück und genoss. Viele Partien beobachtete ich sie. Vielleicht waren sie es mehr als ihr Spiel, was mich faszinierte. Denn das Spiel ähnelte unserem Karrierepoker. Ich konnte einfach nicht ablassen. Sie zu sehen. Diese glücklichen, gedankenverlorenen Menschen zu betrachten.

Am dritten Tag war wieder alles ganz anders. Und ich zweifelte an mir selbst, bis ich feststellte, dass sie heute schlicht ein anderes Spiel spielten. Da ging ich lieber weiter durch die Stadt und fand die Menschen spielend. Jung und alt. Mahjong und Schach und Karten. Einfach so. Auch mein Kartenspiel fand ich wieder. Aber ohne die Alten war es nicht das Gleiche.
Am vierten Tag spielten sie wieder das bekannte Spiel. Vielleicht auch für mich. So wünschte ich es mir insgeheim. Vielleicht hatten sie sogar bemerkt, dass ich nicht bei ihnen stand? Nun konnte ich fast jeden Wurf nachvollziehen. Und manches Mal nickte man mir freundlich zu. Und als einer ausstieg, weil seine Frau rief, pochte mein Herz laut. Einen kurzen Moment trafen sich unsere Blicke. Aber es war noch nicht soweit. Ich war noch nicht soweit. Was sind schon vier Tage gegen ein ganzes Leben? Ein anderer stieg ein.

Am fünften Tag wäre es vielleicht soweit gewesen. Ich hätte diese abgespielten Karten in der Hand halten können. Für eine Runde mit diesen weisen alten Menschen spielen können. Auf ihren Kisten sitzen und dazu gehören. Nur eine Runde, dann hätte ich meinen Platz demutsvoll geräumt. Was für ein Erlebnis.

Am fünften Tag fuhr mein Zug von Pingyao nach Xian. Am frühen Morgen. So ist es eben: Es müssen immer ein paar Träume bleiben. Für diesen bleibt mir noch mein ganzes Leben.
















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