Sonntag, 13. Mai 2012

In der Tigersprungschlucht

Nun also Asien. Nach dem Waterbergplateau in Namibia, den qualvollen Umtragstellen im Algonquin in Kanada, der ultimativen Herausforderung auf dem Inkatrail in Peru wollte ich nun auch auf meinem letzten Kontinent ein Stück des Weges erwandern.
Ich wählte die tiefste Schlucht der Welt, die vom Boden bis zur Spitze 3900 Meter misst und zudem als engste Schlucht der Welt gilt. So eng, dass der Sage nach ein Tiger von einem Bergmassiv über den Jangtsekiang aufs das nächste springen konnte.

Die Angaben in meinen Reiseführern war nicht eindeutig, einige sagten, dass man mindestens drei Tage brauchen würde, andere meinten gar fünf. Nach dem Studium der Beschreibungen war ich mir allerdings gar nicht so sicher, ob sie wirklich selbst diese Wanderung gegangen waren oder sich die Sache nur zusammengereimt hatten.

Ich hatte genügend Zeit im Gepäck hielt 18 Kilometer Wanderung aber eigentlich eher für eine Zweitagesroute. Angesichts der Steigungen meldete ich mich dann aber doch lieber für drei Tage im Hotel in Lijiang ab und machte mich auf den Weg. Ich stresste mich also nicht und kam nach einer dreistündigen Busfahrt auch erst nachmittags in Qiaotou an. Der Startpunkt der Wanderung.

Die Krux für einen Blogschreiber wenn er über Wanderungen berichtet? Sie sind nicht spannend. Sie sind nicht witzig. Es gibt keine Gespräch. Wenig Ereignisse. Nur Wege. Stille Wege.

Und die Aufgabe, die Unterschiede einer anstrengenden Wanderung in Afrika, Südamerika, Nordamerika oder eben Asien mit geschriebenen Worten rauszuarbeiten, ist eine schwere.

Körperliche Strapazen sind im Text sowieso kaum zu transportieren. Nicht mal wer selbst wandert, kann nachvollziehen. Eigentlich nur, wer selbst die gleiche Route wanderte. Da Wanderungen allerdings zu den intensivsten Erlebnissen meiner Reise zählen, lasse ich sie nicht unter den Tisch fallen. Die Tigersprungschlucht schon gar nicht.

Am ersten Tag wanderte ich angesichts der vorangeschrittenen Tageszeit lediglich vier Kilometer bis zum Naxi-Guesthaus. Dieses lag ganz dicht an der ärgsten körperlichen Herausforderung der ganzen Wanderung, den 28 Kehren, die einen auf den Gipfel führten. Ich würde also am nächsten Tag frisch gestärkt gleich zu Beginn an meine Grenzen gehen. Außerdem hoffte ich insgeheim, das wenige Einheimische am früher Morgen auf mich warten würden um mir den Aufstieg mit ihrem Pferd anzubieten. An „Rikscha“-Offerten hatten ich nun wirklich wenig Interesse.

Ich erwartete ein schlichtes Familien-Guesthaus und hoffte dennoch auf ein kleines Einzelzimmer. Das ich auch äußerst preiswert bekam. Ein bisschen irritierten mich dann allerdings doch Klimaanlage, Heißwasserdusche, Wifi und Satelliten-Fernsehen hier mitten in den Bergen.

Ich ließ es mir dann jedoch nicht nehmen trotzdem eine Art „Miniplayback-Show“ auf Chinesisch zu gucken.

Die restliche Strecke von 14 Kilometern hatte ich mir im Kopf in zwei Etappen geteilt. Dabei war zwar das heutige Stück vermutlich anstrengender, da die 28 Kehren warteten, aber so konnte ich vielleicht morgen um 16 Uhr noch den Rückbus nach Lijiang erwischen. Ich war sehr entspannt, denn sieben Kilometer schienen mir. Selbst bei gnadenloser Steigung zu gut zu bewältigen.

Eine halbe Stunde zog sich der Weg am Berg schnurgerade auf einem schmalen Grat Richtung Gipfel. Dieser Wegabschnitt war spektakulär. Und das Schönste: weder Pferde-offerierende-Einheimische noch sonst irgendwer war mit mir „on the road“.

Am Abend hatte ich mich noch mit einer freundlichen Australierin unterhalten, die ebenfalls alleine unterwegs war und sich nun einer Gruppe angeschlossen hatte. Für sie war alleine Wandern grausam. Sie fand es deprimierend, verängstigend und ganz und gar nicht unterhaltsam. Mir geht es komplett anders. Ich genieße gerade diese körperliche Anstrengung und Ruhe alleine am besten. Wenn – auch in der Ferne – niemand anderes zu sehen ist, fühle ich mich grandios. Und jeder erklommene Berg wird auf diese Weise zu „meinem“ Berg. Mit „alleine“ meint es allerdings nicht unbedingt „alleine“. Ich fühle mich ebenso alleine, wenn ich zu zweit oder in einer kleinen Gruppe von Freunden wandere. Dann sind eben „nur wir“ hier. Niemand anderes. Vielleicht eine Art Sozialphobie?

Jedenfalls genoss ich diesen Moment allein im Berg zu stehen und bedauerte nicht nur ob der folgenden körperlichen Anstrengung, dass die 28 Kehren schneller auf mich zu kamen, als ich gehofft hatte.

Die ersten Kehren waren keine zwanzig Meter lang und ich fragte mich, ob das mit den 28 wirklich stimmen würde. Denn flugs war ich schon bei Kehre fünf. Ich begann mitzuzählen, war ich doch einem ungeheuren Zahlenbetrug auf der Spur. Es waren dann auch über 40. Mit kleinem Wandergepäck und einem am Vortag noch rasch erstandenen Bambus-Wanderstock war ich dennoch fast enttäuscht, als ich nach knapp einer Stunde oben war. Anstrengend schon. Aber nicht die allumgreifende totale Erschöpfung, die ich von vorherigen Touren kannte. Das war gut so. denn nun konnte ich mich berauschen lassen. Von einem phänomenalen Ausblick in die Schlucht. Von einer dramatisch schönen langsam abfallenden Strecke zu meinem nächsten Etappenziel.

Als ich nach sieben Kilometern im Tea-Horse-Guesthaus ankomme, ist es 11 Uhr morgens. Ich trink einen geliebten Milchtee und wandere weiter. Die Wanderung wird noch spektakulärer. Die Pfade schmaler, die Blicke überwältigen. Das Wetter ist wieder einmal ein Geschenk – auch nach acht Monaten Weltumrundung habe ich keine handvoll Regentage im Gepäck. Aber es ist auch nicht zu heiß. Es ist schlicht: traumhaft!

Als ich beim Halfway-Guesthaus ankomme, sind es nur noch vier Kilometer bis zum Ende meines Tripps und würde ich mich beeilen, ich könnte heute schon nach Lijiang zurückkehren. Aber warum? Ich trinke ein kaltes Wasser und genieße Schritt für Schritt der letzten Kilometer. Immer wieder mache ich Pausen auf Felsbrocken, an steilen Hängen. Ich habe schon viele Wanderungen erlebt, aber diese hier ist wirklich sehr besonders.

Am Ende wird es dann doch nochmal hart. Ein zweistündiger Abstieg geht auf die Gelenke. Um 17 Uhr betrete ich Gabys Gusthaus und bin erschöpft und beseelt.

Es bleibt dabei. Man kann über Wanderungen keine bedeutenden Blogeinträge verfassen. Nie werden sie in der Blogstatistik nach Klickzahlen „oben“ landen. Aber in meinem Herzen hat sich auch das letzte meiner Kontinentalen-Wanderabenteuer ganz nach oben manövriert

Tigersprungschlucht. Like it!


Und noch was:

An alle Reiseführerschreiber zum Abschreiben (wenn sie es selbst nicht gewandert sind):

Falls jemand die Tigersprung-Schlucht durchwandern möchte: In zwei Tagen ist das mit ein bisschen Anstrengungen erledigt. Wenn man es darauf anlegt, schafft man es sogar in einem Tag. Dann wird es bestimmt aber doch etwas anstrengender. Die Guesthäuser sind nicht „einfach“. Sie bieten alles, was chinesische Unterkünfte sonst auch bieten. Dazu: Grandioser Ausblick.




Der Start ins Vergnügen

Der Jangtsekiang

Ein schmaler Pfad

Bald nur noch ein Grat

Naxi-Guesthouse

einer der Gäste

Blick über die Wolken

Aus meinem Zimmer

Köstliches Abendmenue

Und Mini-Playback-Show


Die 28 Kehren hinauf

und oben

Auf dem Gipfel

Tigersprungschlucht

Ich springe nicht.
Bin ja auch kein Tiger


Augenblicke

Panoramen

Steinige Wege am Hang

Teahorse Guesthaus um 11 Uhr erreicht

weiter gehts

Das Ende in Sicht




Pause am Abhang




Gabis Guesthouse. Und fertig!


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