Ich
wählte die tiefste Schlucht der Welt, die vom Boden bis zur Spitze
3900 Meter misst und zudem als engste Schlucht der Welt gilt. So eng,
dass der Sage nach ein Tiger von einem Bergmassiv über den
Jangtsekiang aufs das nächste springen konnte.
Die
Angaben in meinen Reiseführern war nicht eindeutig, einige sagten,
dass man mindestens drei Tage brauchen würde, andere meinten gar
fünf. Nach dem Studium der Beschreibungen war ich mir allerdings gar
nicht so sicher, ob sie wirklich selbst diese Wanderung gegangen
waren oder sich die Sache nur zusammengereimt hatten.
Ich hatte genügend Zeit im Gepäck hielt 18 Kilometer Wanderung aber eigentlich eher für eine Zweitagesroute. Angesichts der Steigungen meldete ich mich dann aber doch lieber für drei Tage im Hotel in Lijiang ab und machte mich auf den Weg. Ich stresste mich also nicht und kam nach einer dreistündigen Busfahrt auch erst nachmittags in Qiaotou an. Der Startpunkt der Wanderung.
Die
Krux für einen Blogschreiber wenn er über Wanderungen berichtet?
Sie sind nicht spannend. Sie sind nicht witzig. Es gibt keine
Gespräch. Wenig Ereignisse. Nur Wege. Stille Wege.
Und
die Aufgabe, die Unterschiede einer anstrengenden Wanderung in
Afrika, Südamerika, Nordamerika oder eben Asien mit geschriebenen
Worten rauszuarbeiten, ist eine schwere.
Körperliche
Strapazen sind im Text sowieso kaum zu transportieren. Nicht mal wer
selbst wandert, kann nachvollziehen. Eigentlich nur, wer selbst die
gleiche Route wanderte. Da Wanderungen allerdings zu den intensivsten
Erlebnissen meiner Reise zählen, lasse ich sie nicht unter den Tisch
fallen. Die Tigersprungschlucht schon gar nicht.
Am ersten Tag wanderte ich angesichts der vorangeschrittenen Tageszeit lediglich vier Kilometer bis zum
Naxi-Guesthaus. Dieses lag ganz dicht an der ärgsten körperlichen
Herausforderung der ganzen Wanderung, den 28 Kehren, die einen auf
den Gipfel führten. Ich würde also am nächsten Tag frisch gestärkt
gleich zu Beginn an meine Grenzen gehen. Außerdem hoffte ich
insgeheim, das wenige Einheimische am früher Morgen auf mich warten
würden um mir den Aufstieg mit ihrem Pferd anzubieten. An
„Rikscha“-Offerten hatten ich nun wirklich wenig Interesse.
Ich
erwartete ein schlichtes Familien-Guesthaus und hoffte dennoch auf
ein kleines Einzelzimmer. Das ich auch äußerst preiswert bekam. Ein
bisschen irritierten mich dann allerdings doch Klimaanlage,
Heißwasserdusche, Wifi und Satelliten-Fernsehen hier mitten in den
Bergen.
Ich
ließ es mir dann jedoch nicht nehmen trotzdem eine Art
„Miniplayback-Show“ auf Chinesisch zu gucken.
Die
restliche Strecke von 14 Kilometern hatte ich mir im Kopf in zwei
Etappen geteilt. Dabei war zwar das heutige Stück vermutlich
anstrengender, da die 28 Kehren warteten, aber so konnte ich
vielleicht morgen um 16 Uhr noch den Rückbus nach Lijiang erwischen.
Ich war sehr entspannt, denn sieben Kilometer schienen mir. Selbst
bei gnadenloser Steigung zu gut zu bewältigen.
Eine
halbe Stunde zog sich der Weg am Berg schnurgerade auf einem schmalen
Grat Richtung Gipfel. Dieser Wegabschnitt war spektakulär. Und das
Schönste: weder Pferde-offerierende-Einheimische noch sonst
irgendwer war mit mir „on the road“.
Am
Abend hatte ich mich noch mit einer freundlichen Australierin
unterhalten, die ebenfalls alleine unterwegs war und sich nun einer
Gruppe angeschlossen hatte. Für sie war alleine Wandern grausam. Sie
fand es deprimierend, verängstigend und ganz und gar nicht
unterhaltsam. Mir geht es komplett anders. Ich genieße gerade diese
körperliche Anstrengung und Ruhe alleine am besten. Wenn – auch in
der Ferne – niemand anderes zu sehen ist, fühle ich mich grandios.
Und jeder erklommene Berg wird auf diese Weise zu „meinem“ Berg.
Mit „alleine“ meint es allerdings nicht unbedingt „alleine“.
Ich fühle mich ebenso alleine, wenn ich zu zweit oder in einer
kleinen Gruppe von Freunden wandere. Dann sind eben „nur wir“
hier. Niemand anderes. Vielleicht eine Art Sozialphobie?
Jedenfalls
genoss ich diesen Moment allein im Berg zu stehen und bedauerte nicht
nur ob der folgenden körperlichen Anstrengung, dass die 28 Kehren
schneller auf mich zu kamen, als ich gehofft hatte.
Die
ersten Kehren waren keine zwanzig Meter lang und ich fragte mich, ob
das mit den 28 wirklich stimmen würde. Denn flugs war ich schon bei
Kehre fünf. Ich begann mitzuzählen, war ich doch einem ungeheuren
Zahlenbetrug auf der Spur. Es waren dann auch über 40. Mit kleinem
Wandergepäck und einem am Vortag noch rasch erstandenen
Bambus-Wanderstock war ich dennoch fast enttäuscht, als ich nach
knapp einer Stunde oben war. Anstrengend schon. Aber nicht die
allumgreifende totale Erschöpfung, die ich von vorherigen Touren
kannte. Das war gut so. denn nun konnte ich mich berauschen lassen.
Von einem phänomenalen Ausblick in die Schlucht. Von einer
dramatisch schönen langsam abfallenden Strecke zu meinem nächsten
Etappenziel.
Als
ich nach sieben Kilometern im Tea-Horse-Guesthaus ankomme, ist es 11
Uhr morgens. Ich trink einen geliebten Milchtee und wandere weiter.
Die Wanderung wird noch spektakulärer. Die Pfade schmaler, die
Blicke überwältigen. Das Wetter ist wieder einmal ein Geschenk –
auch nach acht Monaten Weltumrundung habe ich keine handvoll
Regentage im Gepäck. Aber es ist auch nicht zu heiß. Es ist
schlicht: traumhaft!
Als
ich beim Halfway-Guesthaus ankomme, sind es nur noch vier Kilometer
bis zum Ende meines Tripps und würde ich mich beeilen, ich könnte
heute schon nach Lijiang zurückkehren. Aber warum? Ich trinke ein
kaltes Wasser und genieße Schritt für Schritt der letzten
Kilometer. Immer wieder mache ich Pausen auf Felsbrocken, an steilen
Hängen. Ich habe schon viele Wanderungen erlebt, aber diese hier ist
wirklich sehr besonders.
Am
Ende wird es dann doch nochmal hart. Ein zweistündiger Abstieg geht
auf die Gelenke. Um 17 Uhr betrete ich Gabys Gusthaus und bin
erschöpft und beseelt.
Es
bleibt dabei. Man kann über Wanderungen keine bedeutenden
Blogeinträge verfassen. Nie werden sie in der Blogstatistik nach
Klickzahlen „oben“ landen. Aber in meinem Herzen hat sich auch
das letzte meiner Kontinentalen-Wanderabenteuer ganz nach oben
manövriert
Tigersprungschlucht.
Like it!
Und noch was:
An
alle Reiseführerschreiber zum Abschreiben (wenn sie es selbst nicht gewandert sind):
Falls
jemand die Tigersprung-Schlucht durchwandern möchte: In zwei
Tagen ist das mit ein bisschen Anstrengungen erledigt. Wenn man es
darauf anlegt, schafft man es sogar in einem Tag. Dann wird es
bestimmt aber doch etwas anstrengender. Die Guesthäuser sind nicht
„einfach“. Sie bieten alles, was chinesische Unterkünfte sonst
auch bieten. Dazu: Grandioser Ausblick.
Der Start ins Vergnügen |
Der Jangtsekiang |
Ein schmaler Pfad |
Bald nur noch ein Grat |
Naxi-Guesthouse |
einer der Gäste |
Blick über die Wolken |
Aus meinem Zimmer |
Köstliches Abendmenue |
Und Mini-Playback-Show |
Die 28 Kehren hinauf |
und oben |
Auf dem Gipfel |
Tigersprungschlucht |
Ich springe nicht. Bin ja auch kein Tiger |
Augenblicke |
Panoramen |
Steinige Wege am Hang |
Teahorse Guesthaus um 11 Uhr erreicht |
weiter gehts |
Das Ende in Sicht |
Pause am Abhang |
Gabis Guesthouse. Und fertig! |
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