Mittwoch, 9. Mai 2012

Bahnfahrkarte kaufen auf Chinesisch

Für heute habe ich mir ein Großprojekt vorgenommen: Ich buche eine Bahnfahrkarte. Genauer gesagt: zwei. Meine nächsten beiden Ziele stehen fest und ich will mit dem Nachtzug dahin kommen. Abenteuer pur. Ich statte mich aus mit einer Landkarte Deutsch/Chinesisch. Meinem Reisewörterbuch Deutsch/Chinesisch. Und meinem Zeigewörterbuch. 

Man riet mir ab als Individualreisender durch China zu fahren. Niemand würde mich verstehen. Und falls ich doch unbedingt auf eigene Faust reisen möchte, dann sollte ich das Flugzeug nehmen. Wenn es denn im großen Notfall doch die Bahn sein soll, könne ich Bahnfahrkarten über ein Reisebüro ordern. Am besten online - auf deutsch. Ich will nicht fliegen. Ich will Bahn fahren. Als Individualtourist. Und ich will mir verdammt nochmal meine Fahrtkarte wie jeder andere Chinese auch am Bahnhof kaufen.

Diese Einsicht kam mir als ich die Internetbahnpreise für China anschaute. Danach könnte ich wirklich stattdessen fliegen. Also fahre ich zum Bahnhof in Peking. Mit der U-Bahn.

Im Fahrtkartenbüro sind nur Asiaten, viele. Vermutlich 100. Und erstaunlicher Weise erkennen sie sofort, dass ich keiner bin. Und dann passiert, was mir in China danach noch viele Male passiert ist und wofür ich die Chinesen liebe: Einer spricht mich an und möchte helfen. Er spricht kein Englisch, aber er weiß was ich will. Eine Fahrkarte. Schlau gefolgert, in einer Halle in der es ausschließlich Fahrkarten zu erstehen gibt.
Er zeigt mir die kürzeste Warteschlange und bittet andere Wartende mich vorzulassen. Das ist mir peinlich. Aber ihnen ist es peinlich, wenn ich dieses Angebot nicht annähme. Also stehe ich plötzlich ganz vorne und alle sind froh. Lachen und begrüßen mich freundlich. Nach gefühlten eineinhalb Minuten stehe ich also nun ganz vorne in der Warteschlange. Ich zücke meine Übersetzer, suche als erstes das Bild im Zeigewörterbuch mit dem weichen Bett heraus: Softsleeper solle es schon sein. Dann bin ich dran. Mein Herz pocht. Ich halte meine Landkarte vors Glasfenster und zeige auf Pingyao, danach im Zeigewörterbuch auf den Zug und auf das erste Klasse Bett. Dann lächele ich der Dame freundlich zu. Sie schaut mich verständnislos an. Schaut auf ihren Computer und sagt: „One ticket from Beijing to Pingyao – softsleeper. Tomorrow?“ Ich grinse verlegen.

„Äh yes“ „220 Kuai“ - ich zahle. Dann kaufe ich die zweite Fahrkarte - ohne Zeigen. Ich sage ihr einfach wohin ich will und bekomme sie.
Und stehe schon wenige Momente nach vielen freundlichen Nickern durch den Rest der Wartenden wieder vor dem Bahnhof. Ich starre auf mein Ticket nach Pingyao.

220 Kuai für eine zehnstündige Nachbahnfahrt von Peking nach Pingyao – Knapp 30 Euro für eine erste Klasse Fahrtkarte, die im Internetreisebüro 100 Euro kosten sollte.

Individualtourist in China zu sein ist echt hart. Eine Bahnfahrkarte zu erstehen ohne Chinesischkenntnisse nahezu unmöglich. Nur ganz großen Abenteurern gelingt dieses sogar am Ticketschalter des Hauptbahnhofs.

Sieht aus wie in der Tokioer Börse
Ist aber die Anzeigetafel im Pekinger Bahnhof

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