Donnerstag, 10. Mai 2012

Einfach nur Danke!

Nun fahre ich zum zweiten Male Bahn. Diesmal aber richtig.Chinesisch. Keine Deutschen. Nicht einmal Europäer. Eigentlich nur Asiaten. Ich tippe: Alles Chinesen. In meinem Abteil ist Aufruhr. Mal wieder. Wer ich denn sei? Woher ich komme? Wohin ich möchte? Verständigung braucht keine Sprache. Ich klappe meine Karte auf und zeige meine Route. Heute Abend möchte ich in Xian sein. Die Terrakotta-Armee will ich sehen. Ein paar Tage in der Stadt bleiben. Man sagt auch: Peking und Shanghaj seien die Kronen des Landes, aber Xian – das sind die Wurzeln. Ich will zu den Wurzeln des Landes. Mehrmals fragt man nach. Nach Xian? Meine Begleitungen scheinen keine Xian-Freunde zu sein. Vielleicht war das mit den Wurzeln doch keine so gute Idee.
Wieder sind es weiche Betten in diesem Softsleeper. Auch am Tage lässt es sich gut aushalten. Ich schlafe viel. Fünf Stunden sind schon rum. Nur mein Gesprächspartner von vorhin ist selten im Abteil. Nun kommt er aber wieder. Im Schlepptau vier uniformierte Bahnschaffner. Sie alle setzen sich auf mein Bett. Zu mir. Als Gruppenaufgabe. Sie sprechen abwechselnd. Auch etwas Englisch ist dabei. Was ich verstehe, entsetzt mich. Dieser Zug fährt nicht nach Xian. Er fährt durch die Provinz Xian aber nicht in die Stadt. Die dichteste Station ist 300 Kilometer von Xian entfernt. Für chinesische Verhältnisse keine Entfernung. Für einen Reisenden schon.

Plötzlich geht mir auf, was mein Abteilnachbar all die Zeit gemacht hat. Er hat Gott und die Welt über mein Problem informiert. Und präsentiert mir nun zusammen mit den vier Musketier-Schaffnern eine Lösung. Ich muss nächste Station aussteigen. Das verstehe ich jedenfalls. Und dann umsteigen und beim Rest bin ich mir nicht mehr sicher. Muss ich auch nicht. Denn ab jetzt habe ich den Status eines Lufthansa-Junior-Passagiers. Man hilft mir mein Gepäck zu packen, den Rucksack zu tragen und einer der Schaffner weicht mir nicht mehr von der Seite. Wenn ich nun noch bunte Filzstifte überreicht bekäme, fühlte ich mich endgültig wie acht Jahre alt.

Am nächsten Bahnhof bin ich der einzige Passagier der aussteigt. Ich bin nicht sicher, ob der Zug hier wirklich planmäßig hält. Sicher bin ich mir allerdings, dass ich nicht den blassesten Schimmer habe, wo ich mich befinde. Die Region der zweisprachigen Stationsschilder ist  jedenfalls weit entfernt.
Als ich den Bahnsteig betrete, steht dort die nächste Bahnmitarbeiterin und nimmt mich in Empfang. Sie führt mich zwei Bahnsteige weiter und deutet auf ein gelbes Quadrat auf dem Boden. Hier soll ich stehen bleiben. Ich wage mich keinen Zentimeter aus diesem Quadrat. Zum Glück ist es etwas verblichen. Und sie hatte auch keine Farbe an den Händen. Das beruhigt mich. Es muss einst für andere orientierungslose Westler aufgezeichnet worden sein, Mein Zug kommt. Ich bin der einzige, der einsteigt. Wieder bin ich mir nicht sicher, was die Planmäßigkeit angeht, denn es steigt auch niemand aus. Im Zug, wie sollte es anders sein, ein neues freundliches Gesicht, das mir den Weg zu meinem Platz weist. Hier ist kein Quadrat. Ich traue mich also und gehe auf Toilette. Als ich zurückkomme wartet das freundliche Gesicht schon ganz besorgt. Ich soll gleich wieder aussteigen.

Ich muss lachen. Ich weiß nicht wo ich bin, ich weiß nicht wo ich ankommen werde, aber dieser Moment ist perfekt.

Beim nächsten Halt steigen viele aus, meine persönliche Juniorbetreuerin am Bahnhof hat Mühe mich durch die Massen zu manövrieren. Dann stellt sie mich ab und deutet mir in die nächste Bahn zu steigen. Damit endet die offizielle Betreuung. Stattdessen spricht mich ein freundlicher chinesischer Student an. Er studiert Englisch. Ich zucke zurück. Er muss lachen, denn er studiert wirklich Englisch wie ich später feststellen werde.

Er sei gerade auf dem Weg zur Uni nach Xian und würde mich hinführen. Das ist der Moment in dem ich Willi kennenlerne.

Als der Zug einrollt, stürzen alle auf die Türen zu. Chinesen haben es nicht so mit geordnetem Warten. Aber Willi zerrt und gestikuliert und diskutiert und dann bin ich im Zug. Ich muss mir ein Ticket kaufen. Dank Willis Studentenausweis ist es billiger. Der Zug ist komplett überfüllt. Natürlich bekomme ich einen Sitzplatz. Jeder will mir seinen anbieten. Alle scharen sich um mich und Willi übersetzt. Eine Freundin stupst ihn an. Sie will auch mit mir reden. Ihr Englisch ist nicht so gut, wie Willis. Sie ist keine Englischstudentin, Aber Kunststudentin ist sie auch nicht. Das ist der Moment in dem ich Sarah kennenlerne.

15 Minuten später ist klar, Sarah und Willi sind eine Sensation. Sie lassen sich meine Hotelbuchung zeigen und während Willi einen Besuchsplan für mich in Xian für die nächsten Tage ausarbeitet, hat Sarah schon beim Hotel angerufen und den genauen Standort erfragt.

Natürlich lassen sie es sich nicht nehmen mich vom Bahnhof per Bus zum Hotel zu bringen. Als Studenten dürfen sie mich kostenlos mitnehmen. Sie bestehen deshalb auf den Bus. Mein riesiger Fahrtenrucksack im überfüllten Bus ist da kein Gegenargument.

Als wir an meinem Hotel ankommen, kennen wir uns knapp eine Stunde und mein Herz ist längst gefangen. Für Xian, für Chinesen, für Bahnschaffner, für Sarah und Willi und ganz besonders für Englischstudenten, die keinen teuren Tee mit mir trinken wollen.

Ihnen geht es ähnlich. Sie beschließen kurz ihre Vorlesungen der nächsten Tage sausen zu lassen und mir Xian zu zeigen. Drei Tage werde ich in Xian sein. Keine Sekunde wird Willi mir von der Seite weichen und auch Sarah jede freie Minute mit mir verbringen. Drei Tage in denen Xian zu meinem Zuhause in diesem riesigen Reich wird.

Nicht, weil es einzigartig schön oder unvergleichbar sehenswert ist. Sondern ganz einfach, weil ich in dieser tollen Stadt zwei unglaublich liebenswerte Menschen treffen durfte. Oder wie es Willi am Ende in seinem stets pathetischen Englisch ausdrückte: „Björn, du kamst als Gast und gehst als Freund.“

Und er hatte damit so verdammt nochmal Recht!

Der Moment in dem ich Sarah und Willi kennenlernte.
Und sie sich über meinen Reiseführer lustig machten.

Mit dem Bus und zwei "Guides" zum Hotel

Der Glockenturm.
Orientierungspunkt genau im Zemtrum der Stadt

Auf dem Weg zum Hotel
Sarah navigiert im Handy und Navitool
Willi macht Sightseeing und trägt meinen Handgepäck-Rucksack
Widerstand zwecklos!

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