Wieder
sind es weiche Betten in diesem Softsleeper. Auch am Tage lässt es
sich gut aushalten. Ich schlafe viel. Fünf Stunden sind schon rum.
Nur mein Gesprächspartner von vorhin ist selten im Abteil. Nun kommt er aber
wieder. Im Schlepptau vier uniformierte Bahnschaffner. Sie alle
setzen sich auf mein Bett. Zu mir. Als Gruppenaufgabe. Sie sprechen
abwechselnd. Auch etwas Englisch ist dabei. Was ich verstehe,
entsetzt mich. Dieser Zug fährt nicht nach Xian. Er fährt durch die
Provinz Xian aber nicht in die Stadt. Die dichteste Station ist 300
Kilometer von Xian entfernt. Für chinesische Verhältnisse keine
Entfernung. Für einen Reisenden schon.
Plötzlich
geht mir auf, was mein Abteilnachbar all die Zeit gemacht hat. Er hat
Gott und die Welt über mein Problem informiert. Und präsentiert mir
nun zusammen mit den vier Musketier-Schaffnern eine Lösung. Ich muss
nächste Station aussteigen. Das verstehe ich jedenfalls. Und dann
umsteigen und beim Rest bin ich mir nicht mehr sicher. Muss ich auch
nicht. Denn ab jetzt habe ich den Status eines
Lufthansa-Junior-Passagiers. Man hilft mir mein Gepäck zu packen,
den Rucksack zu tragen und einer der Schaffner weicht mir nicht mehr
von der Seite. Wenn ich nun noch bunte Filzstifte überreicht bekäme,
fühlte ich mich endgültig wie acht Jahre alt.
Am
nächsten Bahnhof bin ich der einzige Passagier der aussteigt. Ich
bin nicht sicher, ob der Zug hier wirklich planmäßig hält. Sicher
bin ich mir allerdings, dass ich nicht den blassesten Schimmer habe,
wo ich mich befinde. Die Region der zweisprachigen Stationsschilder
ist jedenfalls weit entfernt.
Als ich den Bahnsteig betrete, steht dort die
nächste Bahnmitarbeiterin und nimmt mich in Empfang. Sie führt mich
zwei Bahnsteige weiter und deutet auf ein gelbes Quadrat auf dem
Boden. Hier soll ich stehen bleiben. Ich wage mich keinen Zentimeter
aus diesem Quadrat. Zum Glück ist es etwas verblichen. Und sie hatte
auch keine Farbe an den Händen. Das beruhigt mich. Es muss einst für
andere orientierungslose Westler aufgezeichnet worden sein, Mein Zug
kommt. Ich bin der einzige, der einsteigt. Wieder bin ich mir nicht
sicher, was die Planmäßigkeit angeht, denn es steigt auch niemand
aus. Im Zug, wie sollte es anders sein, ein neues freundliches
Gesicht, das mir den Weg zu meinem Platz weist. Hier ist kein
Quadrat. Ich traue mich also und gehe auf Toilette. Als ich zurückkomme
wartet das freundliche Gesicht schon ganz besorgt. Ich soll gleich
wieder aussteigen.
Ich
muss lachen. Ich weiß nicht wo ich bin, ich weiß nicht wo ich
ankommen werde, aber dieser Moment ist perfekt.
Beim
nächsten Halt steigen viele aus, meine persönliche Juniorbetreuerin
am Bahnhof hat Mühe mich durch die Massen zu manövrieren. Dann
stellt sie mich ab und deutet mir in die nächste Bahn zu steigen.
Damit endet die offizielle Betreuung. Stattdessen spricht mich ein
freundlicher chinesischer Student an. Er studiert Englisch. Ich zucke
zurück. Er muss lachen, denn er studiert wirklich Englisch wie ich
später feststellen werde.
Er
sei gerade auf dem Weg zur Uni nach Xian und würde mich hinführen.
Das ist der Moment in dem ich Willi kennenlerne.
Als
der Zug einrollt, stürzen alle auf die Türen zu. Chinesen haben es
nicht so mit geordnetem Warten. Aber Willi zerrt und gestikuliert und
diskutiert und dann bin ich im Zug. Ich muss mir ein Ticket kaufen.
Dank Willis Studentenausweis ist es billiger. Der Zug ist komplett
überfüllt. Natürlich bekomme ich einen Sitzplatz. Jeder will mir
seinen anbieten. Alle scharen sich um mich und Willi übersetzt. Eine
Freundin stupst ihn an. Sie will auch mit mir reden. Ihr Englisch ist
nicht so gut, wie Willis. Sie ist keine Englischstudentin, Aber
Kunststudentin ist sie auch nicht. Das ist der Moment in dem ich
Sarah kennenlerne.
15
Minuten später ist klar, Sarah und Willi sind eine Sensation. Sie
lassen sich meine Hotelbuchung zeigen und während Willi einen
Besuchsplan für mich in Xian für die nächsten Tage ausarbeitet,
hat Sarah schon beim Hotel angerufen und den genauen Standort
erfragt.
Natürlich
lassen sie es sich nicht nehmen mich vom Bahnhof per Bus zum Hotel zu
bringen. Als Studenten dürfen sie mich kostenlos mitnehmen. Sie
bestehen deshalb auf den Bus. Mein riesiger Fahrtenrucksack im
überfüllten Bus ist da kein Gegenargument.
Als
wir an meinem Hotel ankommen, kennen wir uns knapp eine Stunde und
mein Herz ist längst gefangen. Für Xian, für Chinesen, für
Bahnschaffner, für Sarah und Willi und ganz besonders für
Englischstudenten, die keinen teuren Tee mit mir trinken wollen.
Ihnen geht es ähnlich. Sie beschließen kurz ihre Vorlesungen der nächsten Tage sausen zu lassen und mir Xian zu zeigen. Drei Tage werde ich in Xian sein. Keine Sekunde wird Willi mir von der Seite weichen und auch Sarah jede freie Minute mit mir verbringen. Drei Tage in denen Xian zu meinem Zuhause in diesem riesigen Reich wird.
Nicht, weil es einzigartig schön oder unvergleichbar sehenswert ist.
Sondern ganz einfach, weil ich in dieser tollen Stadt zwei
unglaublich liebenswerte Menschen treffen durfte. Oder wie es Willi
am Ende in seinem stets pathetischen Englisch ausdrückte: „Björn,
du kamst als Gast und gehst als Freund.“
Und
er hatte damit so verdammt nochmal Recht!
Der Moment in dem ich Sarah und Willi kennenlernte. Und sie sich über meinen Reiseführer lustig machten. |
Mit dem Bus und zwei "Guides" zum Hotel |
Der Glockenturm. Orientierungspunkt genau im Zemtrum der Stadt |
Auf dem Weg zum Hotel Sarah navigiert im Handy und Navitool Willi macht Sightseeing und trägt meinen Handgepäck-Rucksack Widerstand zwecklos! |
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