„Rikscha, Sir?“
„Natürlich nicht“, entgegne ich rüde, mit all den Geschichten im
Hinterkopf, die man über das rollende Gewerbe so hört. Andererseits
habe ich irgendwie keine Lust an der öden Palastmauer umherzulaufen.
„Only three Kuai!“, höre ich und bleibe stehen: „Three Kuai?“
„Yes sir, is not so far, but far to go“ Drei Kuai sind ja nicht
einmal 50 Cent. Er muss betrügen. Andererseits. Er setzt keinen
Rohstoff ein, nur seine Arbeitskraft, bei den chinesischen Löhnen
trotzdem ein Geschäft.
Denke ich.
Dummer Gedanke.
Falscher Gedanke.
Ich steige auf.
Er radelt los und beginnt die
Konversation aller Betrüger: „Wo kommst du her? - Oh Deutschland–
ich liebe Deutschland. China liebt Deutschland. Fleißige Leute
dort.“
Nach drei Minuten wird er immer langsamer und ein anderer
Rikschafahrer überholt uns. Er winkt ihn heran und deutet auf sein
altersschwaches Rad und seine plötzlich nachlassenden Kräfte. Ich
muss die Rikscha wechseln. Ich mache es im Automodus. Ohne
nachzudenken. Tief in mir bin ich nun allerdings sicher, dass ich
gerade im großen Stile betrogen werde.
Der neue
Rikschafahrer fährt eine Abkürzung durch ein Hutong. Ein
ursprüngliches Viertel mit chinesischen Einwohnern. Natürlich stöhnt er schonmal vorsorglich wie "strong" ich bin. Gute Voraussetzungen für eine Nachverhandlung.
Doch in welchem Maße er später "nachverhandelt", ahne ich noch nicht im Geringsten.
Das
Deutschland-ich-mag-dich-Gespräch wird fast wörtlich wiederholt und
dann stehen wir völlig überraschend an einer Treppe. Auch für ihn
als Ortskundigen scheint diese Treppe völlig neu.. Vermutlich gerade erst gebaut,
obgleich sie mir „wie-schon-immer-da“ vorkommt.
Komisch.
Jedenfalls gehts hier im leergefegten Hutong, in dieser faktischen Sackgasse nicht mehr weiter.
Jedenfalls gehts hier im leergefegten Hutong, in dieser faktischen Sackgasse nicht mehr weiter.
„Aber es sind
nur noch 100 Meter bis zum Eingang“, tröstet er mich und ich könne
die 300 Kuai ja hier schon bezahlen.
Nun ist eine
Treppe vor der Nase, das komplette Fehlen von westlichen Touristen und
überhaupt die grundsätzliche Abstinenz von Menschen jedweder Art in
einer Sackgasse eines Hutongs kein idealer Ort um über Bezahlungen
zu feilschen.
Aber komplett
verarschen lasse ich mich auch nicht. Ich zeige ihm die zehn Kuai,
die ich schon seit der Abfahrt in meiner Hand halte. Die kann er
meinetwegen komplett behalten.
Er lacht bitter
und spuckt aus. 300 sein letztes Wort. So war es abgemacht.
ich frage mich, mit wem. Mit mir nicht. Und mit ihm ja nun auch nicht. Schließlich hat er mich auf halbem Wege erst übernommen.
Abwechselnd
liefern wir uns ein Wortgefecht, das sich nicht unbedingt mit der
chinesischen Tradition von „Gesicht wahren“ vereinbaren lässt und so gar nichts von dem charmanten Handeln zum Beispiel in Dubai ( siehe auch: http://www.bisbaldbarmbek.blogspot.com/2011/10/gold-und-gewurze.html) hat.
Ich: „300 Kuai
für 15 Minuten – das ist ja höher als jeder Stundenlohn in
Deutschland! Du bist ein Verbrecher“
Er: „Ich rufe
den anderen Rikschafahrer an“. Er wählt, spricht in sein Telefon,
legt auf: „Ja, 300 waren abgemacht!“
Ich: "gelogen!"
Er: "Was bist du nur für ein Deutscher?"
Ich:“Das zahle
ich nicht, steig ab – setzt dich hinten drauf – ich fahr dich
zurück, dann sind wir quit“
Er: "Ich will mein Geld!"
Ich:" ich auch!"
Er“:Ich ruf die
Polizei“
Ich:“Ich auch!“
Er:“Ok, wie
viel!“
Ich:“3“
Er:“300“
Wir stecken in
einer Sackgasse. Selten traf dieser Satz über eine Kommunikation
nicht nur den Kern genau, sondern auch die Umgebung.
Ich frage mich, ob
ich einfach gehen sollte. Aber mittlerweile
bekomme ich ein wenig Angst, da er immer wieder in seine Tasche
greift, nach etwas sucht und obgleich ich etwas stämmiger bin (also
rund 50 Kilo stämmiger) möchte ich es nicht zu einer körperlichen
Konfrontation kommen lassen, schon alleine weil mein soetwas ja nicht macht und ich zudem darin eigentlich
gar keine Erfahrungen habe und überhaupt nicht weiß auf welche Stelle ich zuerst zielen müsste.
Außerdem weiß ich natürlich, dass man sich nicht einfach in einem fremden Land mit einem Rischafahrer prügeln sollte. Dabei habe ich genau dazu eigentlich große Lust.
Da ich aber natürlich kultiviert und zivilisert bin (und wie schon gesagt etwas Angst vor ihm habe), haue ich ihm nicht in die Fresse und zertrümmere seine Scheiß-Rikscha, sondern lenke langweilig ein.
Ich:“Mal ehrlich
– du haust mich übers Ohr – aber für wieviel lässt du mich
gehen?“
Er:“100“
Ich:“Niemals! 30
– meinetwegen.“
Wir einigen uns
wenig freundschaftlich auf 50 Kuai, rund sechs Euro.Viel zu viel.
Aber viel zu wenig um verletzt und ausgeraubt im Hutong gefunden zu
werden.
Er nimmt das Geld
und weg ist er.
Ich zittere am
ganzen Körper. Ich habe nicht viel verloren. Ich bin auch nicht
„überfallen“ worden, aber es fühlt sich irgendwie so an. Ich
atme durch. Steige die paar Treppen am Straßenende hoch und gehe die
letzten 500 Meter zum Palast.
Erst als wieder
viele Menschen um mich sind, geht es mir besser. Sechs Euro für
meine erste chinesische Grenzerfahrung. Kein schlechter Preis.
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