Dienstag, 8. Mai 2012

Rikschafahrer sind größere Betrüger!

Nun stehe ich am Hintereingang des Palastes und mache mich auf den Weg. „Alles Betrüger“, denke ich in nahezu liebevoller Erinnerung an den Taxifahrer, der mich am falschen Ende des riesigen Bauwerks absetzte. Da rollt schon die nächste Hauptstadtbetrügerei auf mich zu.
„Rikscha, Sir?“ „Natürlich nicht“, entgegne ich rüde, mit all den Geschichten im Hinterkopf, die man über das rollende Gewerbe so hört. Andererseits habe ich irgendwie keine Lust an der öden Palastmauer umherzulaufen. „Only three Kuai!“, höre ich und bleibe stehen: „Three Kuai?“ „Yes sir, is not so far, but far to go“ Drei Kuai sind ja nicht einmal 50 Cent. Er muss betrügen. Andererseits. Er setzt keinen Rohstoff ein, nur seine Arbeitskraft, bei den chinesischen Löhnen trotzdem ein Geschäft.
Denke ich.
Dummer Gedanke.
Falscher Gedanke.
Ich steige auf.
Er radelt los und beginnt die Konversation aller Betrüger: „Wo kommst du her? - Oh Deutschland– ich liebe Deutschland. China liebt Deutschland. Fleißige Leute dort.“
Nach drei Minuten wird er immer langsamer und ein anderer Rikschafahrer überholt uns. Er winkt ihn heran und deutet auf sein altersschwaches Rad und seine plötzlich nachlassenden Kräfte. Ich muss die Rikscha wechseln. Ich mache es im Automodus. Ohne nachzudenken. Tief in mir bin ich nun allerdings sicher, dass ich gerade im großen Stile betrogen werde.
Der neue Rikschafahrer fährt eine Abkürzung durch ein Hutong. Ein ursprüngliches Viertel mit chinesischen Einwohnern. Natürlich stöhnt er schonmal vorsorglich wie "strong" ich bin. Gute Voraussetzungen für eine Nachverhandlung.

Doch in welchem Maße er später "nachverhandelt", ahne ich noch nicht im Geringsten.
Das Deutschland-ich-mag-dich-Gespräch wird fast wörtlich wiederholt und dann stehen wir völlig überraschend an einer Treppe. Auch für ihn als Ortskundigen scheint diese Treppe völlig neu.. Vermutlich gerade erst gebaut, obgleich sie mir „wie-schon-immer-da“ vorkommt. Komisch.

Jedenfalls gehts hier im leergefegten Hutong, in dieser faktischen Sackgasse nicht mehr weiter.

„Aber es sind nur noch 100 Meter bis zum Eingang“, tröstet er mich und ich könne die 300 Kuai ja hier schon bezahlen.

Nun ist eine Treppe vor der Nase, das komplette Fehlen von westlichen Touristen und überhaupt die grundsätzliche Abstinenz von Menschen jedweder Art in einer Sackgasse eines Hutongs kein idealer Ort um über Bezahlungen zu feilschen.

Aber komplett verarschen lasse ich mich auch nicht. Ich zeige ihm die zehn Kuai, die ich schon seit der Abfahrt in meiner Hand halte. Die kann er meinetwegen komplett behalten.

Er lacht bitter und spuckt aus. 300 sein letztes Wort. So war es abgemacht.
ich frage mich, mit wem. Mit mir nicht. Und mit ihm ja nun auch nicht. Schließlich hat er mich auf halbem Wege erst übernommen.
Abwechselnd liefern wir uns ein Wortgefecht, das sich nicht unbedingt mit der chinesischen Tradition von „Gesicht wahren“ vereinbaren lässt und so gar nichts von dem charmanten Handeln zum Beispiel in Dubai ( siehe auch:  http://www.bisbaldbarmbek.blogspot.com/2011/10/gold-und-gewurze.html) hat.
Ich: „300 Kuai für 15 Minuten – das ist ja höher als jeder Stundenlohn in Deutschland! Du bist ein Verbrecher“
Er: „Ich rufe den anderen Rikschafahrer an“. Er wählt, spricht in sein Telefon, legt auf: „Ja, 300 waren abgemacht!“

Ich: "gelogen!"

Er: "Was bist du nur für ein Deutscher?"
Ich:“Das zahle ich nicht, steig ab – setzt dich hinten drauf – ich fahr dich zurück, dann sind wir quit“
Er: "Ich will mein Geld!"
Ich:" ich auch!"

Er“:Ich ruf die Polizei“

Ich:“Ich auch!“
Er:“Ok, wie viel!“

Ich:“3“
Er:“300“
Wir stecken in einer Sackgasse. Selten traf dieser Satz über eine Kommunikation nicht nur den Kern genau, sondern auch die Umgebung.
Ich frage mich, ob ich einfach gehen sollte. Aber mittlerweile bekomme ich ein wenig Angst, da er immer wieder in seine Tasche greift, nach etwas sucht und obgleich ich etwas stämmiger bin (also rund 50 Kilo stämmiger) möchte ich es nicht zu einer körperlichen Konfrontation kommen lassen, schon alleine weil mein soetwas ja nicht macht und ich zudem darin eigentlich gar keine Erfahrungen habe und überhaupt nicht weiß auf welche Stelle ich zuerst zielen müsste.
Außerdem weiß ich natürlich, dass man sich nicht einfach in einem fremden Land mit einem Rischafahrer prügeln sollte. Dabei habe ich genau dazu eigentlich große Lust.
Da ich aber natürlich kultiviert und zivilisert bin (und wie schon gesagt etwas Angst vor ihm habe), haue ich ihm nicht in die Fresse und zertrümmere seine Scheiß-Rikscha, sondern lenke langweilig ein.
Ich:“Mal ehrlich – du haust mich übers Ohr – aber für wieviel lässt du mich gehen?“
Er:“100“
Ich:“Niemals! 30 – meinetwegen.“

Wir einigen uns wenig freundschaftlich auf 50 Kuai, rund sechs Euro.Viel zu viel. Aber viel zu wenig um verletzt und ausgeraubt im Hutong gefunden zu werden.
Er nimmt das Geld und weg ist er.

Ich zittere am ganzen Körper. Ich habe nicht viel verloren. Ich bin auch nicht „überfallen“ worden, aber es fühlt sich irgendwie so an. Ich atme durch. Steige die paar Treppen am Straßenende hoch und gehe die letzten 500 Meter zum Palast.

Erst als wieder viele Menschen um mich sind, geht es mir besser. Sechs Euro für meine erste chinesische Grenzerfahrung. Kein schlechter Preis.

In einer großen Stadt gibt es viele Betrüger
Und man muss wachsam sein, bei einer Auseinandersetzung, kühlen Kopf
bewahren oder zumindestens wissen, wo man den anderen schlagen muss,
um ihm weh zu tun...


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