Montag, 7. November 2011

Von Bären und Schlangen

Warum eigentlich die größten Angsthasen der Welt in ein Gebiet reisen, dass genau die eigenen Angstfantasien bedient, bleibt natürlich ein Rätsel.
Sandra fürchtet Schlangen, ich Bären. Wobei meine Angst natürlich begründet ist, während Sandras höchst irrational ist.

Im Allgonquin Nationalpark gibt es Bären und deswegen muss man seine Lebensmittel hoch in einen Baum ziehen. Der Gedanke an Bären durchfuhr mich die komplette Reisezeit und besonders nachts hörte ich sie ums Zelt schleichen. Sandra meinte zwar, dass dies entweder Grashüpfer oder Baumaschinen in der Ferne seien, aber ich war mir eigentlich jederzeit sicher ein Opfer einer Bärenattacke zu werden.

Und so ungefährlich wie immer gesagt wird, ist es mit den pelzigen Freunden nämlich nicht. Angeblich soll es in den letzten 100 Jahren lediglich 40 menschliche Todes-Opfer gegeben haben. Meine Internetrecherchen ergab aber auch anderes:

 Bären attackieren Menschen und die Hinweise wie man bei solch einer Bären-Attacke reagieren soll sind höchst unterschiedlich. Bei Schwarzbären auf Bäume klettern, bei Grizzlys macht das keinen Sinn, denn sie können gut klettern. Aber es sind auch schon kletternde Schwarzbären gesehen worden. Bei Braunbären soll man sich tot stellen, bei Schwarzbären auf keinen Fall, weil sie nicht von einem ablassen. Bei Schwarzbären soll man zurückschlagen, wenn sie bösartig sind. Ansonsten die Ruhe bewahren und laut sein, damit sie verschwinden. Wenn sie einen noch nicht wahrgenommen haben, dann soll man allerdings doch verschwinden, Wenn sie sich auf die Hinterbeine stellen, dann ist das kein Zeichen für einen Angriff, sondern sie wollen sich nur einen Überblick verschaffen. Kein Grund also zur Panik? Da ich im Falle eines Bären-Meetings sicherlich nicht das Braun-schwarzbär-Grizzly-Bestimmungsbuch heraushole, ist mir völlig klar, was ich tue, wenn ich einen sehe: Weglaufen! Und genau das, da sind sich alle Quellen einig, ist genau das Falsche, denn Bären sind schneller und du weckst mit Flucht ihren Jagdinstinkt!
Also will ich keinen treffen und habe uns Bärenglöckchen gekauft. Die machen einen zwar wahnsinnig, weil sie bei jedem Schritt bimmeln, aber mich beruhigen sie. Mein Theorie zu all den Bäreneinträgen im Internet: Man schreibt doch nicht so viele Verhaltenstipps, wenn in den leetzten 100 Jahren lediglich 40 Menschen getötet wurden! Ich bin sicher man vertuscht die Hälfte oder sogar noch mehr. Es sind sicher 100 Opfer und dann sieht es schon wieder anders aus. Auf unserem See zum Beispiel fahren wir ja nur ganz alleine. Wenn das immer so ist, dann fahren vielleicht 100 Menschen im Jahr über diesen See. Wenn davon einer getötet wird, dann heißt es, dass jeder 100 Mensch ein Opfer wird (die nicht tödlichen Attacken, bei denen man nur ein Bein oder Arm verliert, mal nicht mitgezählt). Wir sind zu Zweit im Kanu was die Wahrscheinlichkeit natürlich sofort verdoppelt. Warum sollte der Bären einen von uns töten, während der andere danebensteht. Wenn dann sind wir beide dran.

Sandra sagt, dass das Quatsch ist, denn die 40 Todesopfer waren ja nicht an unserem See, sondern in ganz Nordamerika. Und außerdem seien Schwarzbären nun wirklich nicht besonders aggressiv und ich müsste das ja schließlich wissen, denn ich hätte eine Bärenbegegnung nun schon mal gut überlebt.

Und das stimmt. Bei meiner ersten USA-Expedition mit Ingo und Isi (die ich an späterer Stelle noch einmal ausführlich vorstellen werde) durchquerte ich den Yosemite Nationalpark. Und ich entschied mich (ich war jung und unerfahren) aufgrund der Hitze die Nacht vor meinem Zelt zu verbringen. Ich wachte nachts auf, als ein ausgewachsener Schwarzbär sich mit seinem Fell an meinem Bart schubberte. Zum Glück lag ich im Schlafsack (sonst wäre ich sicher sofort weggelaufen s.o.). So konnte ich mich nicht regen und war sowieso schocksteif. Nach wenigen Sekunden ließ der Bär von mir ab und entschwand vom Campground. Ich nahm meine Sachen und sprintete ins Zelt wo ich Ingo und Isi weckte. Isi sagt, dass er noch nie einen Menschen so zitternd gesehen hatte und ich konnte die ganze Nacht natürlich kein Auge schließen, weil ich mir plötzlich nicht sicher war,ob das Ganze nur ein Traum war. Am nächsten Morgen fanden wir die riesigen Prankenabdrücke neben meiner Isomatte.

Ich informierte den Campingwart, der nur lapidar fragte „Ist was passiert?“ Ich antwortete „Nein!“ und er zuckte die Schultern „Dann ist ja gut!“

Ich wollte meine Antwort auch 13 Jahre später nicht revidieren und handelte mit größter Vorsicht. Jedes noch so kleine Essens-Utensil wurde in die Bäume gezogen und nachdem ich gelesen hatte, dass ein Jugendbetreuer einen Bären mit einem Paddel davon abhielt einen Jugendlichen aus dem Zelt zu ziehen, schlief ich nachts mit Paddel im Arm.

Sandras Schlangenangst ist natürlich unbegründet. In Algonquin gibt es keine giftigen Schlangen. Nur viele. So kam die erste Begegnung schnell und trotzdem ziemlich überraschend (bis dahin wussten wir nämlich noch nicht, dass wir im Schlangenland waren). Wir wanderten durch den Laubwald bei herrlichem Sommerwetter mit rund 30 nicht ganz so herrlichen Kilos auf der Schulter als sie plötzlich da war. Sie lag mitten auf dem Weg und ich muss zugeben: Sie war riesig! (bestimmt 1,50m lang) Sandra stand stocksteif und schrie unentwegt:„Schlangen sind Flüchter, flüchte!! Ich hasse Dich – verschwinde!“ Diese war irgendwie kein Flüchter. Sie verschwand nicht. Sandra bewegte sich auch nicht mehr (sie ist wohl auch kein Flüchter) und die Taschen auf meinem Rücken wurden schwerer und schwerer. Ich fragte sanft, ob wir jetzt weitergehen könnten, man bräuchte schließlich vor ungiftigen Schlangen keine Angst zu haben.

Aber Sandra war anderer Meinung: „Wenn ich vor einem möglichen Hunderstel-Bär Angst haben würde, hätte sie gefälligst das Recht vor einer ganz realen Schlange vor ihr in Schockstarre zu verharren und zwar so lange sie wolle. Und es sei ihr auch scheißegal ob die Schlange nun giftig sei oder nicht.“

Und da hatte sie irgendwie Recht. Ich legte mein Gepäck ab.

Wir betätigten uns eine weitere halbe Stunde als Nichtflüchter, als die Schlange von selbst verschwand. „Sie war nur Spätflüchter“ versuchte ich einen Scherz, der allerdings nicht besonders gut ankam.

Das Dumme beim Umtragen ist, allerdings, dass man meistens noch einmal zurück muss, um weitere Sachen (z.B. das Kanu) zu holen. Auf dem Rückweg lag die Schlange wieder an der gleichen Stelle und zu allem Überfluss einige Meter danach noch eine weitere.

Sandra war fertig und auch ich musste einsehen, dass dieser Wald nicht sonderlich gut geeignet war, um einen Menschen mit Schlangenphobie einen geruhsamen Urlaub zu ermöglichen.

Wir schafften es irgendwie dann doch noch unter immenser Anstrengung den Wald zu durchqueren („Du musst lauter und stärker Auftreten, damit die Schlangen uns hören!“). Es war eine unfassbare Strapaze, die sich auf die normale Strapaze des Umtragens legte, so dass sich Sandra am Abend zu dem später viel zitierten Satz hinreißen ließ „Ich hasse OUTDOOR!“. Am Lagerfeuer mit Blick aufs Wasser und die Sterne wollte sie davon allerdings nichts mehr wissen.

Einen Bären haben wir übrigens die ganze Tour hindurch überhaupt nicht gesehen.

Bärenlinks:




Über Algonquin und Schlangen:



Als nachts (beim letzten Hochziehen der Waschutensilien,
 in totaler Dunkelheit meine Konstruktion riss und ein 20 Kilo-Beutel
direkt hinter mir zu Boden ging. Schrie ich vor Schreck so laut,
dass man es noch drei Seen weiter hörte. Ich sah mich
schon als Bärenopfer und war kampfbereit. Ein grausamer Moment im Wald
Alles ist dunkel. Alle Essensutensilien liegen rundherum auf dem
Boden. Ich brauchte fünfzehn Minuten alles wieder hochzuziehen.
 Sandra sang ununterbrochen und klatschte in die Hände um die "Bären zu warnen"
 (oder die Schlangen zum Flüchten zu bewegen)
Horror!
Ich hasse Outdoor!


Das Wichtigste überhaupt: Lebensmittel sichern!

Kein Weihnachtsbaum

Schlangenland

Leider vergaß ich in der Schockstarre die Schlange zu fotografieren



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