Dienstag, 22. November 2011

Es ist dunkel, ich bin müde, ich habe Hunger...

Es sind diese Momente. Ich sitze am Steuer und rudere das Auto durch die Serpentinen des Yosemite-Nationalparks. Mein Vater starrt in die Karte und meiner Mutter ist schlecht auf der Rückbank. Außerdem ist sie müde und hat Hunger. Ich erinnere mich an früher – da war es irgendwie andersrum. Es ist 20 Uhr und wir haben noch keine Übernachtungsmöglichkeit. „Es geht immer gut aus“, sagen die, die so eine Situation schon einmal erlebt haben. Ich auch. Außer, wenn ich mich wieder in der Situation befinde.
„Warum haben wir eigentlich vorhin nicht dieses nette kleine Motel“, beginne ich und kenne selbst die Antwort: Alles ist hell, alles ist schön, man könnte noch Stunden weiterfahren und lächelnd lässt man auch schönste Unterbringungen links liegen: „Ist doch noch früh“.
Aber dann kippt es. Von einer Sekunde auf die nächste. Es wird dunkel, der Tank ist fast alle, man bekommt Hunger, Durst, ist müde und man hat keine Bleibe. Jeder Reisende weiß das. Wir haben es nicht gelernt. Bis heute nicht.
Nun ist es dunkel, der Tank ist fast alle, wir haben Hunger, sind müde und haben keine Bleibe.
Nach endlosen Serpentinen verlassen wir den Nationalpark und steuern einen Punkt auf der Karte an. Noch 40 Meilen. Kein Unterschied. Auch Serpentinen. Mein Vater ist sich sehr sicher: „Ich glaube, dass dort wahrscheinlich ein Motel sein könnte...“ Wir finden den Punkt auf der Karte 60 Minuten später in natura. Es ist ein Baum oder ein anderer Baum. Vielleicht auch ein Stein. Jedenfalls keine Stadt, kein Haus, erst recht kein Motel. Ich bin sicher: Der Punkt in der Karte markierte einen Punkt, weil solange nichts zu markieren war.
Wir düsen weiter. „In 3,5 Stunden sind wir in San Francisco“, scherze ich und finde es gerade selbst nicht so lustig. Sonst auch keiner. Schweigen.
Dann, wie aus dem Nichts: Ein Motel. Ich reiße das Steuer rum. Wir gehen in die Lobby. „Wir brauchen drei Betten. Irgendwie.“ „Gerne“, lächelt die nette Rezeptionistin und mein Herz hüpft. „Das wären dann 420 Dollar“ - Mein Herz bricht sich beim Hüpfen ein Bein. Wir starren sie an, wir schauen uns an. Eine Minute später sitzen wir wieder im Auto. Sooo müde sind wir ja nun auch wieder nicht. Plötzlich ist die Stimmung wieder besser. Fast taghell. Für ein paar Minuten.
In Toronto suchte ich die halbe Nacht nach einem Hotelbett bis ich um kurz nach 1 Uhr in der Nacht eines gefunden hat. Im Laufe der Suche passen sich Müdigkeit und der Preis, den man zu bezahlen bereit ist, an. Als ich um 18 Uhr damals mit der Suche startete, wollte ich maximal 50 Dollar zahlen und lehnte lächelnd teurere Hotelzimmer ab. Als ich dann überglücklich das letzte Zimmer im Comfort Inn erhielt, war ich auch bereit 110 Dollar zu zahlen.
Von 420 Dollar ist unsere Müdigkeit allerdings noch Zeitreisen entfernt.
Eine Stunde und drei Punkte auf der Karte später ist es noch dunkler. Unser Hotelpreis im Kopfe um einige Dollar gestiegen und wir wittern eine neue Chance, die wir in einer gemeinsamen Kartensichtung ausgetüftelt haben. Meiner Mutter ist mittlerweile alles egal und wir feiern schon mal vorsorglich das Ende unserer Tortur mit Zweckoptimismus. Immerhin haben wir noch für rund 20 Meilen Benzin.
„Buck Meadows“ steht auf der Karte. Ehrlicher Weise könnte es auch eine besonders schöne Wiese sein, die dort in der Karte ausgezeichnet ist. Oder ein besonders teuerer Ort, wenn man Buck mit Dollar übersetzt.
Noch fünf Meilen, dann noch zwei. Ich habe das Gefühl, dass es eher dunkler wird, als irgendwelche Lichtandeutungen am Horizont auszumachen.
Dann sind wir da: dunkles Nichts. Enttäuschung, Kurve, Motel!
Wir rennen rein, meine Mutter bleibt im Auto. Vielleicht hat sich mittlerweile dort auf die Nacht eingestellt. Sie haben keine Hütte mehr, aber einen Wohnwagen für drei. 80 Dollar. Jetzt ist es auch egal. Wir greifen zu. Ich überbringe die Nachricht sanft: „Also, es ist etwas ganz Spezielles...“, beginne ich. Meine Mutter wäre mittlerweile vermutlich mit einem Erdloch zufrieden und wir fahren den Hügel zum „Wohnwagen“ durch ein kleines Waldstück. Was uns dort erwartet, ist unfassbar. Ein Motorhome – 90 Quadratmeter. Dusche, Küche, Wohnzimmer und zwei Schlafzimmer. Wir sind in Kalifornien. Hier ist einfach alles immer ein bisschen größer. Selbst ein Wohnwagen. Wir lachen, wir tanzen, wir sind froh. Wir ordern eine Pizza und Burger im Imbiss gegenüber.
Solche Sachen gehen immer gut aus. Haben wir doch gleich gesagt.


Fotos aus dem Wohnwagen in der reinen Weltstadt Buck Meadows:


Pizza, Burger und das Lächeln ist zurück.

Schlafzimmer

Küche

Das zweite Schlafzimmer beim morgendlichen Packen

90 Quadratmeter Wohnwagen - das gefällt!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen