Sonntag, 6. November 2011

Über den Petit Train du nord

Seit meiner Abreise in Hamburg ist einiges passiert. Ich habe Berge bestiegen, Wanderungen gemacht, in Dubai sogar das Fitnessstudio besucht. Dazu viel geschlafen und relativ ausgewogen gegessen. Kurzum: Ich fühle mich so frisch und fit wie lange nicht mehr.
 
Der Petit Train du Nord ist fantstisch

wunderschöne Aussichten
Und nun will ich meine neue Fitness auch gleich auskosten.Vor meiner Zelttür liegt einer der schönsten kanadischen Radwanderwege, der Petit Train du nord. Auf der ehemaligen Bahntrasse durch die Bergwelt führt nun ein wunderschöner Radweg durch Wald, Wiesen und Seen vorbei. Der Himmel ist blau und in meinen Verpflegungsrucksack stecke ich zwei Bananen und einen Liter Wasser. Im Mai hatte ich erstmals an Sandras „Tour den friends“ teilnehmen dürfen. Diese Fahrradtour ist in ihrer Familie eine Art „Familienerbstück“ und führt alljährlich die Freundesgruppe an die schönsten Flußläufe des Landes. Dieses Jahr ging es von Lübeck an der Ostseeküste bis Rostock. Täglich maximale lächerliche 40 Kilometer. Dachte ich. Es war ein deprimierendes Erlebnis, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine kilometerlange (ca. 30 km) Lücke klaffte. Ich war erschüttert über meine körperliche Verfassung und die Vorstellung an all die Fahrradtouren in meiner Kinder- und Jugendzeit mit Freunden und meinen Eltern bei denen wir manchmal über 100 Kilometer täglich abrissen, lag wie vernebelt über mir. Nur Dank der liebevollen Zuwendung des Freundesteams und insbesondere der Personal-Trainer Eigenschaften von Sandras langjährigster großartiger Freundin Julia, die mich in einer Mischung aus Udo Bölts-Manier („Quäl Dich du Sau!“) und Super-Nanny (du kannst das!) begleitete, schaffte ich es damals überhaupt ans Ende der Touren.

Eins war klar: So würde ich nie wieder eine Fahrradtour erleben.


Durch herrlichen Laubwald

Aber nun war ich fit. Ich würde 40 Kilometer fahren. Ohne Probleme. Als erster Grundstein für die „Tour der Friends 2012“ und dann würde ich den Bölts machen und nach der Tour lächelnd vom Sattel steigen und „Ach, wir sind schon da?“ sagen.
Ich mietete mir also ein Fahrrad und los ging es. Der Petit Train du nord ist tückisch. Von Sainte Adele geht der Weg immer ein bisschen bergauf. Das merkte ich wohl. Aber Dank meines Fitnesszustands konnte ich nur darüber lachen. Die ersten zehn Kilometer bewältigte ich schnell und trotz vieler Fotostops brauchte ich nur knapp eine Stunde. Ich freute mich insgeheim auch darüber, dass es immer bergauf ging, denn das bedeutete, dass ich bei meiner Rückkehr den leichteren Weg bergab fahren konnte. Auch die nächsten zehn Kilometer waren eher bergauf und nur manche Passagen konnte ich die Räder einfach rollen lassen. Nun war ich schon 20 Kilometer gefahren und die Sonne wanderte Richtung Tageszenit. Das Wetter war also grandios und meine Verfassung auch.




genug Zeit für Fotoshootings

Kilometermarkierungen.
Die machen einen fertig (wenn sie nicht kommen)
Ich hatte mir vorgenommen in einem der Bistros zu halten, die am Wegesrand lagen und  eine kleine Mittagspause einzulegen. Doch noch war mir nicht nach Mittagessen. Ich entschied mich weiter zu radeln. Und bei der nächsten Gelegenheit zu pausieren. Die Räder rollten und erst als das Schild (30 Kilometer) mich überraschte, war mir klar geworden, dass ich gerade rund zehn Kilometer bergab gefahren war.
Egal – mir ging es weiter blendend. Es war 13 Uhr, ein Bistro allerdings nicht in Sicht. Ich fuhr um eine weitere Ecke und um eine weitere. Mein mathematischer Verstand meldete sich und trat gegen das Mittag-Essen-Kleinhirn an: „Björn, du bist jetzt 34 Kilometer gefahren, wenn du jetzt nicht umkehrst, dann wirst du zusammenbrechen“ - „Björn, du bist topfit, denk an das Bistro, das um die nächste Ecke liegt – die Rückfahrt geht doch fast nur bergab!“
Ich fuhr noch eine Ecke und noch eine. Dann bog der Weg in einen Wald ein. Verdammt. Ich musste umkehren. Ich war 36 Kilometer in eine Richtung gefahren und so langsam verließ mich mein Glaube an eine umfassende Fitness. Ich drehte um und blickte einen starken Anstieg entgegen. Die ersten Kilometer kämpfte ich mich den Berg hoch, dann „machte meine Wade zu“. Ich stieg ab und lockerte. Es ging wieder. Drei Kilometer. Ich legte mich auf einer Wiese und schüttelte die Beine. Wie um Himmels Willen sollte ich die verbliebenen 30 Kilometer schaffen? Ich brauchte etwas zu Essen. Genau gesagt: viel zu essen. Ich brauchte einen Elektromotor oder noch besser: ich brauchte Julia oder den Vater meines Freundes Ingo, der ist nämlich Taxifahrer.
Ein anderer Radwanderer hielt angesichts meines desolaten Anblicks. Ich reckte meinen Daumen nach oben und lächelte: „Alles ok, ich fühl mich bestens, nur ein kleines Päuschen!“ - scheiße!
Ich machte mir einen Plan. Ich hatte noch viereinhalb Stunden für 30 Kilometer, dann schloss der Fahrradladen und ich hatte keine Zeit das Rad erst morgen abzugeben.
Die letzten zehn Kilometer bräuchte ich meine Beine nicht, da würde ich einfach rollen. Also noch rund 20.
Ich plante sieben Etappen á drei Kilometer und stieg aufs Rad. Ich versuchte mit meinem stärkeren linken Bein (mein altes Sprungbein aus Handballzeiten) stärker zu treten und dadurch wurde meine Fahrweise etwas unrund. Ich bewegte mich fort wie diese Witzräder am Erlebnisbahnhof Ratzeburg. Doch so ging es. Drei Kilometer – Pause liegend auf der Wiese -Drei Kilometer. Jedes Kilometerschild feierte ich gebührend und irgendwann kam zwar nicht das erwünschte Bistro, sondern ein Supermarkt. Ich humpelte in den Laden und kaufte alles ein, was ich sah. Dann aß ich alles, was ich eingekauft hatte. Nun war ich nicht mehr hungrig, sondern müde.
Ich wuchtete mich dennoch aufs Rad, denn die Sonne stand schon ziemlich tief. Ich erreichte das Zehnkilometerschild indem ich die Pausenzeiten auf zwei Kilometer verkürzte. Im Fieberwahn überlegte ich, ob meine Erinnerungen an eine nun folgende Abwärtsraserei trügen würden. Aber ich hatte mich nicht geirrt. Wie der Wind schoss ich, mit einem Bein tretend, während das andere lässig nach unten schlackerte, die letzten zehn Kilometer nach Sainte Adele. Um 17.40 Uhr trat ich in den Laden und gab mein Fahrrad ab. „70 Kilometer“ merkte ich locker an und hob abermals den Daumen „schöne Strecke!“. Die Verkäuferin schaute mich mitleidig an. Das war mir egal.
Die Tour de Friends 2012 kann kommen. Ich bin topfit!


Weiterführende Links

Petit Train du nord

„Quäl Dich du Sau!“

Super Nanny

Tour de Friends 2011 (Archivbild)








1 Kommentar:

  1. Björn, du Sau, ich bin verdammt stolz auf dich!

    Ich freu mich schon riesig aus unsere nächsten 70 gemeinsamen Kilometer!!

    Liebe Grüße von Udo, der Super-Nanny

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