Bis eben war ich
noch entspannt. Ist ja nicht mein erster Grenzwechsel und beileibe
auch nicht mein erster Flug. Locker schob ich den Wagen mit dickem
Rucksack in Richtung Check In, da fiel mein Blick auf die Hände
meiner Vorderleute: Ein kleiner gelber Zettel zwischen ihren Finger.
Nun bin ich nicht
mehr entspannt. Wenn man aus einem Land in Südamerika ausreist, gibt
man bei der Abreise die Kopie des Einreisebelegs wieder ab. In
anderen Ländern wird er in den Pass geheftet, hier erhält man ihn
fast beiläufig zurück. Als Quittung, als
Durchschlag. So ein Zettel eben - wie man ihn eigentlich immer in den
nächsten Eimer wirft oder zwangsläufig verliert. Dieser Durchschlag
ist meistens gelb. Erstmals wurde mir die Bedeutung bewusst, als eine
nette Seniorin in Peru noch einmal zum Flughafen musste und unter
großem Aufwand (zeitlich wie finanziell) einen neuen beschaffen
musste. Ich hatte meinen noch. Natürlich. Habe ich je ein Stück
Papier weggeworfen? Vorteile eines Papiermessis!
Seitdem deponiere
ich die kleinen Scheißerchen in der Umschlagshülle meines
Reisepasses. Das ist gut, das ist idiotensicher. Außer jetzt, wo da
partout kein gelber Zettel aufzufinden ist. Sonst kriechen
Check-In-Schlangen nur so vor sich hin. Diese rast und ich auch. Mit
meinen Händen von Tasche zu Tasche. Portemonnaie? Nein.
Umhängegürtel? Nein! Verdammt viel mehr habe ich gar nicht zum
Absuchen. Mein Geist gleitet hinweg: Hab ich so einen Zettel
überhaupt bekommen? Bestimmt nicht. So würden es echte
Fraenkelsträßler machen: Zettel? Ich? Nie? Habe ich nicht bekommen.
Ich schwöre. Natürlich werde ich es so versuchen. Gestählt durch
zehn Jahre Schülerdiskussionen um verlorene Zettel. Aber auf
Spanisch?
Bin ich überhaupt eingereist? Vermutlich, sonst stünde ich wohl nicht hier. Verdammt.
Üblicher Weise
hätte ich mich nun um die weltweit einheitlichen
Flughafenabsperrbänder mäandert.Bis ich an der Reihe bin. Aber nun?
Meine Nerven liegen blank.
Vielleicht ist er
auch nicht so wichtig? Andererseits warum sollten die Vorderleute ihn
ansonsten derart provokativ in ihren Fingern wenden?
Wo wenn nicht bei
meinem Südamerika-Asien-Kontinentwechsel sollte so ein Beleg
bedeutend sein? Obwohl? Wir sind in hier schließlich in Südamerika.
Also Relaxxen! In meinem Kopf explodiert es: Chile ist die Schweiz
Südamerikas. Die Schweiz! Ich kenne die Schweiz. Ich werde den
Zettel brauchen. Das ist sicher.
Vermutlich noch
eine Kopie davon und ein Bankschließfachvordruck. Die Schweiz
Südamerikas. Klingt nämlich so gar nicht nach lockerer Handhabe von
Formalitäten. Warum denn die Schweiz, warum nicht...? Äh, ich
überlege. Warum nicht Schweden? Das Schweden Südamerikas. Die
Grenze zwischen Norwegen und Schweden. Da habe ich sogar mal im Zelt
drauf geschlafen. Direkt auf der Grenze. Da brauchte ich auch keinen
gelben Zettel. Verdammt.
Die vor mir sind
am Schalter. Wie dumme Streber legen Sie Tickets, Bordkarten und die
gelben Zettel auf den Tresen. Es geht schnell – zu schnell. Ich bin
dran. Wie Gary Cooper in High Noon. trete ich zum Schalter. Meine
schweißigen Finger legen den Pass ab, die Bordkarte ebenso. Die Dame
schaut mich lächelnd an. Sie bräuchte noch den Durchdruck meines
Einreisebelegs.
Ich lächle:
„Achja, natürlich...“ Ich nehme ihr den Pass aus den Händen.
Huch, nein hier ist der Zettel ja gar nicht. Welche Farbe hat der
noch? Gelb? Achja, Moment. Ich greife zu meinem Portemonnaie und
lächle, einen Moment. Nein, hier auch nicht – so was Dummes.
Ich überleg ob
ich weglaufe oder weinen soll. Ob ich mich zu Boden werfe oder einen
großen Dollarschein rüberschiebe? Die Gedanken blockieren sich
gegenseitig.
Panik hilft nicht.
Hilft nichts: Ich bin panisch: Wo ist er nur? Ich ziehe meinen
Bauchgürtel auf den Tresen und öffne das Hauptfach blättere die
weißen Zettel durch. Nein, äh hier – oh. Eine kleine gelbe Ecke
blitzt. Mein Herz schlägt laut. Ich zupfe den Schein aus dem Beutel.
Da ist er doch. Ich lächle. Lege ihn hin – griene in Richtung der
Streber, die noch nicht weit weg sind und bekomme meine Stempel. Als
wenn ich mich von so einem gelben Zettel aus der Ruhe bringen lassen
würde.
Da ist er doch... |