Donnerstag, 8. Dezember 2011

Opa, wir haben ihn!

Manche Kinder suchen in ihrer Kindheit „die blaue Blume“. Wir waren auf der Jagd nach dem Hammerhai – immer! Mein Opa hatte uns davon erzählt und wann immer wir zusammen in meinem Kindheitsparadies Scheeßel an der Wümme waren, dann gingen wir zum Angeln.
 „Heute angeln wir einen Hammerhai“, pflegte mein Opa dann zu sagen und wir saßen stumm um ihn herum. Am Ende des Tages waren es ein paar Rotaugen – vielleicht. Das machte uns auch schon glücklich. In Scheeßel verbrachten wir unsere Wochenenden in einem alten großen Wohnwagen mitten im Wald. Zusammen mit den anderen Kindern spielten wir unaufhörlich: "Verstecken" und „der Ball ist weg“. Wir jagten Kaninchen. Als Strohballen verkleidet, robbten wir uns immer näher. Und hätte der dicke Heiner ein bisschen schneller seinen Kescher geschwungen, wir hätten es erwischt. Hier machten wir Lagerfeuer und grillten Würstchen, paddelten über die Wümme in unseren Geheimwald und hielten Kriegsrat. Es waren wunderbare Kindertage.
Natürlich hatten wir hier unser Baumhaus und meines war in der Baumkrone eines Kirschbaums. Als Dana und ich vor ein paar Jahren danach suchten – wer hätte es je abreißen können, es war zu hoch im Baum – fanden wir es nicht mehr. Den Baum auch nicht. Dort steht heute ein Carport. So platzt mancher Kindertraum.
Meine Großeltern waren manche Wochenenden bei uns oder machten sogar Urlaub dort. Und so entstand die Legende vom Hammerhai, den mein Opa fangen wollte. Wann immer wir konnten, machten auch Dana und ich Jagd auf ihn – ohne je zu wissen wie er aussah.
Als mein Opa starb, ging ein Stück meiner Kindheit – und ich war schon über 30 Jahre alt.
Ich habe ihn in all den Jahren nie ärgerlich oder böse erlebt. Er liebte den Frieden. Er liebte die Menschen. Er war immer froh. Froh einen Krieg in Russland überstanden zu haben. Das hat ihn geprägt und zu jedem meiner Geburtstage erinnerte er sich und mich daran: "Als ich diesen Geburtstag feierte, lag ich im Schützengraben." Das hat mich immer sehr beeindruckt und auch geprägt. Ich wollte nie in einem Schützengraben liegen.
Er liebte das Leben und für mich war er ein Held, auch wenn seine „berühmteste Geschichte“ meist mit dem Gegenteil begann: „Ich war kein Held. Wir hatten die Aufgabe Granaten auf angreifende Panzer zu werfen, dafür musste man aus seinem Loch kommen und auf einen Panzer springen. Ich blieb im Loch. Ganz unten. Ich war ein Feigling!“ Ich liebte ihn für diese Geschichte.
Er war ein Held des Lebens und nicht für Tod und Teufel gemacht. Jeden Montag war Oma-und-Opa-Tag und wir legten sogar unsere Studienseminare so, dass wir am Montag-Nachmittag die Beiden erleben durften. Und wir genossen bei Kaffee und Kuchen all die Geschichten und das Miteinander unserer Familie.
Irgendwann, als die Termine am Wochenende durch Handball-, Schach- und sonstige Veranstaltungen überhand nahmen, wurde der Wohnwagen verkauft. Es war wohl sinnvoll, aber furchtbar.
Die Legende vom Hammerhai lebte dennoch weiter und es gab nicht wenige Tage an denen Opa uns zuraunte: „Irgendwann, da schnappen wir uns ihn...“

Mein Opa ist vor einigen Jahren gestorben und damit nach über 50 Jahren Ehe auch ein großer Teil meiner Oma. Sie ist heute sehr dement und ich freue mich bei jedem Besuch, wenn sie mich noch erkennt. Das war die größte Angst vor meiner Abreise: dass sie mich vergisst. Deswegen bekommt sie Postkarten von mir. Von überall. Es ist schlimm, die starken Menschen der Kindheit so schwach zu sehen.

Nun aber schnorchel ich vor Galapagos. All dies ist weit weg. Ich habe einmal mehr den Anschluss zum Rest der Gruppe verloren. Das macht nichts. Ich genieße die Ruhe und die Einsamkeit unter Wasser. Ein riesiger Fischschwarm umgibt mich. Dann eine Schildkröte. Das Wasser ist kalt, aber mein Herz wird warm.
Plötzlich wühlt sich aus einer Grotte, keine fünf Meter unter mir, ein riesiger Fisch. Ein Hai. Ein Hammerhai. Alle anderen sind auf der Suche nach Haien, die hier nicht gefährlich sind. Und er ist bei mir. Beim letzten Schnorchler der Gruppe. Er schwimmt zielstrebig auf mich zu und mustert mich, als wolle er etwas sagen. Ich schaue ihn an und will meinen Mund zum Rufen öffnen. In diesem Moment ist Opa bei mir und lächelt mir zu, wie er es immer getan hat. „Björn, ich habs dir doch gesagt!“

Opa wollte ewig leben. Aber auch nicht alle Wünsche ganz besondere Menschen gehen in Erfüllung. Leider! Aber den Hammerhai, den haben wir!

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