Dienstag, 6. Dezember 2011

Gruppenangst

Ich habe auf Anraten vieler Menschen (auch dieses Blogs) das Buch „Hummeldumm“ gelesen, als nette Lektüre angesichts meiner Namibia-Erlebnisse gedacht, bescherte es mir nun eine schlaflose Nacht. Für alle, die das Buch nicht kennen: Es ist nahezu eine Sozialstudie Deutschen Verhaltens auf Gruppenreisen oder netter formuliert: Eine Reisegruppe findet sich für eine gebuchte Namibia-Rundtour zusammen und alle denkbar möglichen Katastrophencharaktere treten auf. Ich startete heute meine Gruppenreise! Auf einem Boot. Fluchtmöglichkeiten gleich Null. Was wäre wenn...

14 Passagiere finden Platz auf der Golondrina. Und so wanderte mein Blick auf dem Flughafen Baltra von einem zum anderen: Der vielleicht? Anfangs atme ich durch, wenn bestimmte Menschen an mir vorbeiziehen. Aber irgendwie ziehen alle an mir vorbei und meine Stimmung kippt: Nun will ich nicht mehr ausgewählte Mitreisende. Nun will ich überhaupt irgendjemanden haben, der zu mir gehört. Meinetwegen auch die rosinengesichtige Gruber aus Hummeldumm. Bitte überhaupt irgendjemand.
Aber weder ein Guide noch ein Passagier findet sich, der einen ähnlich doofen Aufkleber auf seiner Jacke kleben hat. Diesen Aufkleber hatte ich im Tourbüro in Quito erhalten und eigentlich geschworen ihn nicht zu tragen, sondern cool abzuwarten, bis sich eine Reisegruppe mit diesem Aufkleber gefunden hatte und mich dann lässig dazu zu gesellen. Als sich nun aber das Terminal leert und ich niemanden mit meinem Aufkleber sehe, ergreife ich Initiative und klebe ihn selbst auf meine Jacke. Ändern tut das nichts. Das Terminal ist fast leer und ich stehe da.

Ich weiß nicht, ob es anderen Menschen auch so geht. Ich lebe mit dieser Panik seitdem ich mich entsinnen kann. Die „irgendwas-hast-du-falsch-verstanden“-Panik!
Man nimmt sich Zeit schlendert zum Veranstaltungsort, will pünktlich sein. Ist pünktlich. Man öffnet die Tür. Niemand da. Man geht raus. Lächelt. Es ist ja noch früh. Obwohl so früh auch nicht mehr. Man schaut in den Kalender, in die Unterlagen. Bin ich richtig? Ist die Zeit richtig? Irgendwas ist falsch. Unruhe. Hab ich es falsch notiert? Was nun? Ich drehe dann immer halb durch.
Meistens kommt dann irgendwann die Auflösung und alles wird gut.

Einmal auf Herbstreise saß ein unbekanntes Kind neben André Ventura ganz vorne. Wir fuhren nach Hameln. Wir alle waren uns sicher, dass es von einer unserer Partnerschulen kam. Erst in der Jugendherberge stellten wir und der Junge fest, dass er im falschen Bus saß. Ich habe eigentlich immer, solange ich keine bekannten Gesichter erkenne, das Gefühl ich säße im falschen Bus.

Hier auf dem Flughafen Baltra übermannt mich dieses Gefühl nun vollends und ich schaue auf meinen Scheiß Aufkleber. Wer zum Teufel fährt mit mir auf der Golondrina? Bin ich auf der falschen Insel? Am falschen Tag? Habe ich irgendetwas verpasst? Im Anflug von Verzweiflung frage ich den einzigen noch anwesenden Guide, der ein Schild hochhält „TipTop 1“: „Die Golondrina, die ist doch bestimmt schon weg, oder?“

Er schaut mich fragend an, denkt kurz nach und führt mich schweigend zu meinem Guide. Der sitzt still und relaxt auf einer Wartehallenbank: „Ach, du bist schon da?“
Alle anderen kämen erst mit dem nächsten Flug und da ich mit dem Bus anreiste, wusste er nicht, dass ich schon da sei. Er heißt Fabrizio. „Schön dass du da bist!“
Ich schaue ihn an wie den Weihnachtsmann und bin ebenso froh wie zur Weihnachtszeit. Ein weiteres Mal also alle Aufregung umsonst. Was mich allerdings nicht davor schützt auch beim nächsten Mal...

Nun muss ich wieder an Hummeldumm denken. Der Guide sieht vernünftig aus. Nett. Was ist mit den anderen? Jetzt will ich doch keine Gruberin mehr. Jetzt will ich einfach nette Menschen.

Und tatsächlich dann kommen sie. Vier Franzosen, drei Kanadier, ein Spanier, eine Neuseeländerin und an Bord wartet noch eine Schweizerin. Und sie allesamt sind das große Gegenteil von Hummeldumm. Fuchsschlau vielleicht! Hochgebildete, freundliche, sozialkompetente und interessierte Menschen. Ob sie gleiches von mir behaupten weiß ich nicht, denn ich bin der einzige an Bord, der nur zwei (eher eineinhalb) Sprachen spricht...

Aber es sind alle nett zu mir. So wie ich es gern habe.

Ein echt bunter Haufen von Reisenden, die sehr bewusst das Ziel Galapagos gebucht haben. Ich fühle mich vom ersten Moment in dieser Gruppe pudelwohl.

Und das nicht nur, weil ich mich weder im Ort noch im Termin geirrt habe.


Die Golondrina - ein Zuhause auf See


Unsere bunte Reisegruppe

Fabrizio - unser Guide


Fabrizio bei einem seiner täglichen Info-Vorträge

Die tolle Crew der Golondrina

Schöne, entspannte Abende im Sprachkauderwelsch einer tollen Gruppe

Jeden Abend "Briefing" - was passiert morgen...


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