Mittwoch, 29. Februar 2012

Der schönste Wanderweg der Welt ?!

Mit „den Schönsten“ ist das ja immer so ein Problem - oder auch eben nicht. Geschmackssache. Vom Milford Track in Neuseeland sagt man, er sei der Schönste „The finest walk in the world", der schwedische „Kungsleden“ sowieso, aber ähnliches gibt es über Pfade in den Dolomiten, durch die schottischen Highlands, durch Kanadas Westen oder den norwegischen Lofoten zu hören. Auch der Inka-Trail ist natürlich so ein Kandidat. Und würde es diesbezüglich Bewerbungsschreiben einzelner Etappen geben, würde der „Camino Inka“ ganz sicher mit seinem dritten Abschnitt antreten.
Obgleich dieser mit seinen 18 Kilometern durchaus einiges abverlangt. Oder vielleicht gerade deswegen. So oder so ist er damit unter den Aspiranten mehr als konkurrenzfähig.

Nach zwei sanften Anstiegen auf abermals knapp 4000 Meter sind wir über den Wolken. Dort wo die Freiheit wirklich grenzenlos ist. Auf dem Bergkamm überblicken wir die Anden. Der Weg ist „asphaltiert“, denn die Inkas haben es sich nehmen lassen auch in dieser Höhe Pflaster auszulegen. Die Boten sollten so schnell wie möglich ihre Botschaft überbringen.

Immer wieder stoßen wir auf Inkaruien, die als Vorboten des magischen Machu Picchus in der Landschaft grüßen. Wir durchstreifen den Urwald der Berge und finden uns auf einem Plateau zur Mittagspause ein. Unsere Porter haben Köstlichkeiten gezaubert, die wir erst einverleiben und dann auf unseren Isomatten in einem kleinen Mittagsschlaf „ausschlafen“. Das gibt so viel Kraft, dass ich meinen Rucksack mit einem Porter tausche. Für genau viereinhalb Meter, dann wechseln wir lieber wieder.
Wir laufen an Alpakas vorbei und an Blumenwiesen und immer wieder erleben wir sensationelle Ausblicke. Danach geht es durch einige „Inkatunnel“ weiter und ein paar Momente später stehen wir auf dem letzten Gipfel mit berauschendem Blick ehe ein mehrstündiger Abstieg ins Tal beginnt.
Dort wartet unser letzter Campground vor unserer abschließenden Etappe nach Machu Picchu auf uns und wir träumen uns glücklich in den nächsten Tag.

Den unzureichenden Worten folgen Bilder




Die dritte Etappe startet mit zwei "sanften" Aufstiegen

Über den Wolken


Gepflasterter Inkatrail




Und Inkatunnel


Traum-Mannschaft







Durch den Urwald


Träger, Köche, Helden









Mittagspause




Rucksacktausch

...




der letzte Gipfel



und abwärts

Alpaka - das Kamel der Anden


Dienstag, 28. Februar 2012

Von Sauerstoffgeräten und Goldfolien...

Es ist Sechs Uhr morgens. Ich blinzele in die Wolken. Oder genauer gesagt in den Himmel. Dort nämlich liegt das heutige Etappenziel: Der Dead Woman Pass. Rund 1200 Meter Höhenunterschied in rund fünf Kilometern werde ich in den nächsten Stunden erklimmen müssen. Danach geht es dann 800 Meter Höhe runter und dann bin ich fertig! Und seltener traf vermutlich eine Prognose die Wahrheit wie eben diese: Dann bin ich „fertig!“.

Ich könnte jetzt jammern oder klagen. Aber erstens hilft es nichts und zweitens beschreibt es nur sehr ungenau die Qualen die mich trafen. Ich wanderte Schritt für Schritt und Stufe für Stufe. Und als ich nach einem Kilometer das Schild für „einen Kilometer“ sehe, will ich nicht mehr weiter. Ich pausiere lange und dann geht’s wieder. Nämlich genau 25 Meter. Dann noch 25 und so weiter. Irgendwann ist es still um mich. Längst sind keine Träger mehr bei mir. Und auch keine andere Menschen. Neben mir grast ein Reh. Könnte aber auch eine Halluzination sein. Ich weiß es nicht.

Aber ich weiß, dass mein Guide José hinter mir ist. Das ist Gesetz. Immer mit dem Langsamsten der Gruppe. Aber er bleibt unauffällig zurück. Er wird heute erst spät Feierabend machen können. Dafür habe ich mich nun schon viele Male bei ihm entschuldigt. Er sagt, dass er zuversichtlich ist. Ich revidiere: Er wird heute gar keinen Feierabend mehr machen können.
Wieder ein Schritt. Es geht nicht mehr. „Wie ist es nur möglich?“ frage ich mich, dass all diese Menschen an mir vorbeischießen konnten. Viele waren schlichtweg fitter als ich. Andere aber sahen alles andere als sportlich aus. Es nagt. Aber ich gehe mein Tempo. Wenn man diese Art der Bewegung „Tempo“ nennen darf.
Dann sind 2,5 Kilometer geschafft. Hier warten mehr Menschen als ich annahm. Einige liegen mit Krämpfen an der Seite. Einige Sauerstoffgeräte und Goldfolien sind im Einsatz. Dies ist keine Pausenstation, dies ist ein Lazarett. Ich kaufe mir zwei Liter Wasser – dies wird die letzte Wasserstelle für die nächsten zwei Tage sein. Danach erhalten wir abgekochtes Wasser von unseren Portern. Langsam kaue ich auf meinem Müsliriegel. War ich jemals so erschöpft in meinem Leben? Aber es fühlt sich auch gut an. Dann gehe ich weiter. Einige lasse ich zurück. Josés Daumen zeigt nach oben. Das ist gut gemeint. Aber ich hoffe er hat auch Goldfolie und Sauerstoff dabei.

Denn langsam wird die Luft immer dünner. Und damit meine ich nicht nur meine Konditions-bedingte Schnappatmung. Nun wird es wenigstens mal richtig steil und ruhig. Ich krabbel auf allen Vieren. Wieder sind keine Menschen um mich herum. Dann schaue ich noch einmal genau in Richtung der Wolken und sehe in unfassbarer Entfernung eine Gruppe Mini-Menschen den Pass emporsteigen. Das ist unser Weg. Da muss ich hin? Ich sinke auf meinen Rucksack und esse ein paar Nüsse.
José kommt um die Ecke - baff. Vor 300 Metern und knapp einer Stunde bin ich aus dem Halbzeitcamp aufgebrochen. Nun sitze ich hier. Wenn er nicht so ein höflicher Mensch wäre, würde er seinen Daumen von eben senken. Ich zeige ihm die Menschen in der Ferne. „Wanderer“ sagt er. Bis zu diesem Moment hatte ich auf kleine schwarze Flecken auf der Netzhaut gehofft. Ich stemme mich hoch. „Wie lange kann man noch bis ins Camp gehen?“ José lächelt: „um 15 Uhr bist du da!“ Die Frage ist nur was er mit „da“ genau meint.
Darüber sinne ich die nächste Stunde nach – also die nächsten 300 Meter. Nun tauchen wieder Goldfolien und Sauerstoffgeräte am Wegesrand auf. Ein Wanderer ist kreidebleich und hustet so erbärmlich. Er liegt eingerollt in Decken und zwei Guides knien neben ihm. Dies ist irgendwie kein Spiel. Und eigentlich doch auch unverantwortlich, dass alle Welt sagt: den Inka-Trail – den schafft jeder!“

Aber ich widerlege mich natürlich selbst. Denn vor mir liegt der Gipfel. Ich sehe den Pass. Winkende Menschen – klein, aber ich sehe ihre Bewegungen. „Die letzten 500 Höhenmeter sind die Schlimmsten“ hatte José gesagt. Treppen. Und damit meine ich keine Treppenhaustreppen, sondern Stufen rund einen halben Meter hoch. Jede einzelne wuchte ich mich und meinen Rucksack mit Hilfe meiner beiden Wanderstöcke hoch. Irgendwie so muss sich meine 90jährige Nachbarin in meinem Treppenhaus daheim fühlen, wenn sie in ihre Wohnung im vierten Stock steigt.

Der Wind pfeifft. Die letzte Stufe. Jubelnde Menschen. Und ich genieße ihn. Diesen letzten Schritt. 4216 Meter – so hoch wie noch nie in meinem Leben. Zu Fuß. Ich schaue den Weg zurück. Wo noch eine ganze Reihe Wanderer zu sehen sind. Und dieser Weg ist viel mehr als ein Weg. Er ist gleichsam ein Symbol. Denn vor einem halben Jahr führte mich eine Fahrradtour über 30 Kilometer über den Ostseewanderweg an meine Grenze. Nun stehe ich hier auf „meinem Dach der Welt“. Ich spüre, ich bin zurück im Leben. In einem Leben, das ich schon fast vergessen hatte. Mit Kraft und Vertrauen in den eigenen Körper – weit weg von Frust-Schokolade und Dauer-Schreibtisch. Ausgepumpt, erledigt, glücklich. Es sind noch viel Wege zu gehen – auch schwere. Aber der Dead Women Pass fühlt sich plötzlich an wie meine Auferstehung. Die 800 Meter abwärts, fliege ich in 60 Minuten. José lacht und hat Mühe Schritt zu halten. Ich stürme ins Camp. Er ist einer der ersten Guides mit Feierabend. Es ist 14.21 Uhr.

Los gehts


Blick zurück

Pause nach einem Kilometer

Wanderer in der Ferne

Treppen immer wieder Treppen

Eine Halluzination

Aus diesem Tal kam ich

Pause bei 2,5 Kilometer

weiter immer weiter

Der Blick zurück wird weiter

Der Blick nach oben weniger anstrengend


Heute kein Feierabend?

Wir haben es fast geschafft

Die letzte Stufe

Dead Woman Pass - meine Auferstehung


Und es geht nach unten...,

Guide im Nebel

Die Porter warten schon mit großen Köstlichkeiten

Ein großer und bedeutender Tag.



Sonntag, 26. Februar 2012

Non scholae, sed vitae discimus


„Schaut mal da rein,“ sagt unser Guide José und schon schlängeln wir uns an dem Brunnen vorbei durch die kleine Tür im Raum neben der Küche. Unzählige Meerschweinchen krabbeln über den Steinboden, der notdürftig mit Heu bedeckt ist. Ein kleiner Futtertrog sorgt für die angemessene Mästung. Zwei Mädels aus Hessen sind ganz außer sich. Sie nutzen die Zeit nach dem Abi für eine lange Südamerika-Reise und nun den Inka-Trail: „Oh, wie süß ist das denn?“ Sie streicheln ausgiebig die kleinen Tierchen und kommen freudestrahlend aus dem Stall: „Hätte ich ja nicht gedacht, dass die armen Leute sich auch noch Zeit für Haustiere nehmen.“ José blickt mich an. Ohne Worte entziffere ich seinen Blick: „Sagst Du es ihnen oder ich?“. Ich nicke kurz in Richtung Küche, wo eine dicke Frau ausgiebig in ihrem Kochtopf rührt. Die beiden sind augenblicklich still bis sie ihre Sprache wiedergefunden haben: „Nee nä? Wie gemein ist das denn?“
Da fällt mir glatt der alte Spruch unseres Lateinlehrers meiner Abizeit wieder ein: "Wir lernen fürs Leben nicht für die Schule." Und das Leben, das brät eben manchmal auch ein Meerschweinchen.

Was genau meinten die mit "pipifax"?

Unser Team am Eingang zum "Inka-Pfad"
Der erste Tag ist „pipifax“ hämmert es in meinem Kopf. Das haben doch alle gesagt. Ich höre das hämmernde „pipifax“ allerdings gar nicht, weil man Herz dagegen anschlägt und sich mein keuchender Atem drüberlegt. Wir sind eine Miniwandergruppe mit Stefani und Oreol, den beiden Spaniern, mit Lu der Architektin aus Hongkong und José unserem Guide. Ich habe also Glück gehabt. Andere Gruppen sind 20 oder mehr. Wenn ich Letzter bin, dann bin ich Fünfter. Nicht schlecht. Heute bin ich immer Fünfter. 13 Kilometer lang ist die Etappe. Aber so glatt und eben der Einstieg vor ein paar Stunden auch war. Nun geht’s bergauf, langsam, stetig, steil. Mit dem Bus sind wir zum berühmten Kilometer 82 gefahren und dort in den Trail eingestiegen. Ganz regulär mit Ausweiskontrolle. Insgesamt 200 Wanderer und 300 Träger (Porter). Laut Gesetzt dürfen sie nur 30 Kilo auf den Schultern tragen. Sie tragen Zelte, Verpflegung, Stühle. Aus alten Lappland-Tagen weiß ich wie 30 Kilo aussehen. Die tragen 50 Kilo – Gesetzt hin oder her! Ist mir gerade auch egal, denn ich trage 12 – und das reicht mir. Ich schnaube den nächsten Gipfel empor. Meine Gruppe wartet auf mich. Ich gieße Wasser in mich hinein. Ich denke an morgen. Sieben Kilometer bergauf. Insgesamt 1000 Meter Höhenunterschied – 10 000 Stufen. Mir ist jetzt schon schlecht und das im „Pipifax-Land“. Ich reiße mich zusammen und immer wieder belohnen überwältigende Aussichten die Anstrengungen. Inkaruinen, Berggipfel. Zwischendurch kann man Wasser kaufen und trifft andere Gruppen. Man kommt ins Gespräch. Die Zeit vergeht. Nach und nach kämpfe mich zum ersten Campground. Der Blick ist gewaltig. Die Toiletten unbeschreiblich. Die Porter zaubern ein Menü. Gemeinsam sitzen wir im Zelt und lachen. Lu, Stefani, Oreol, Jose und ich. Meine Beine tun weh. Mein Rücken schmerzt. Ich bin totmüde. Ich frage noch nicht „warum?“ Der Pass ist von unserem Platz zu sehen. Hoch oben in den Wolken. José sagt uns, dass er „Death-Women“-Pass heißt. Ich schlucke, unseren beiden Frauen geht es super. Das es morgen „pipifax“ wird, sagt keiner.


Die "Porter" werden zuerst eingelassen. Hört man auf einer Tour hinter sich
den Ruf "Porter" macht man Platz.

Nach zehn Metern auf dem Inka-Trail allerbester Stimmung

Durchs Tal in die Berge

Ein Vorgeschmack auf morgen. Treppen, Aufstieg.

Immer wieder unfassbare Aussichten auf Inka-Ruinen

Der Blick wird verkrampfter.

Der Rest der Gruppe geht schonmal vor.

Unser Campground

Unser Verpflegungszelt von den "Portern" mitgeschleppt

Und Tea-Time

Aussicht auf den Death-Woman-Pass, aber das ist morgen!